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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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Ante?«
    Diego fährt auf, als
hätte ihn der Stachel eines Fisches verletzt, von denen, die unter dem Sand
zustechen.
    »Ante …«
    Ja, wie er. Dieser
Rotzjunge in den zerlumpten Hosen, der sich stets abseits hielt, in die Felsen
geschmiegt wie ein Vogel, und der so tat, als könnte er schwimmen, und lieber
unterging, als um Hilfe zu bitten.
    Seit einigen Tagen
fühle ich gar nichts mehr. Ich bleibe im blauen Feuer dieses Bildes gefangen.
Rings um mich her nichts als kalte Materie. Der Gedanke an das Kind unter der
Erde lässt mir keine Ruhe. Er verhärtet sich wie ein Fossil im Stein, wie ein
Schneckengehäuse. Er ist die letzte Stufe der Treppe, die ins Nichts
hinaufführt. Ich kann diese Erde nicht mehr berühren, wo Schnecken und Tote
weiden. Mit dem blauen Kind scheinen mir sämtliche Kinder der Welt gestorben zu
sein. Es ist kalt, das Eis krallt sich an die Dinge und sperrt sie ein. Kinder
schlittern fröhlich, ich sehe sie nicht an, sie kommen mir vor wie Gespenster,
in Reih und Glied zum Tod hin ausgerichtete Wesen.
    Ich strecke einen Fuß
aus und ziehe die Schranktür zu mir. Ich betrachte mich in der einzigen
Spiegelscherbe, die noch daran hängt. Meine Haare sind in meinem stumpfen
Kastanienbraun nachgewachsen, die Strähnchen sind zu den Spitzen abgesunken,
gilb wie Hühnerfedern. Ich denke an meinen Friseur, an sein Gesicht, seinen
Jargon … Lichtakzente,
Nuancen, revitalisierende Haarkur . Ich bin am anderen Ende der Welt. Bin nicht mehr ich, aber das ist
mir egal. Ich vertreibe mir die Zeit damit, auf dem Bett liegend mit der
Fußspitze diese Schranktür anzustoßen, dieses Spiegelstück, das mich in
Fragmenten wiedergibt. Alles, was vor diesem Krieg geschehen ist, erscheint mir
wie in eine menschenleere Urgeschichte verbannt. Es gab da mal eine Zeit vor
dem Krieg, vor dem blauen Kind, als ich daran glaubte, bei dem Lamm bleiben zu
können, meine Hand und mein Ohr auf seinen Bauch zu legen. Und zusammen wären
wir zwei Mütter gewesen.
    »Was will Aska mit
dem Kind machen?«, habe ich Diego gefragt.
    »Ich weiß es nicht,
sie spricht nicht darüber.«
    »Ich habe Angst.«
    Er sah mich eine
Weile an.
    »Jetzt ist es zu
spät, um Angst zu haben.«
    Dann kam der Winter.
Der Krieg war bereits eingewachsen. Die Blumenfrau vom Markale sagte: »Dieses
Jahr haben wir Glück, der Schnee lässt noch auf sich warten.«
    Zähneklappernd stand
sie vor ihrem kleinen Korb mit Papierblumen. Ihre selbstgestrickte Wollmütze
schien über ihrem immer kleiner werdenden Gesicht immer größer zu werden. Trotzdem
hörte sie nie auf zu lächeln.
    Manche Dinge werde
ich mit zurücknehmen, und sie werden mich retten. Das Lächeln der Blumenfrau
aus der Tito-Allee wird mich retten.
    Einmal fragte ich
sie, wie sie heißt. Vielleicht hielt sie das für eine Fangfrage, wie
Journalisten sie stellen. Aus ihrem Familiennamen hätte ich schließen können,
welcher Volksgruppe sie angehörte.
    » Cvječarka sarajevska «, antwortete sie.
    » Was ist das für ein Name? , fragte ich Gojko. Er lachte über
diese schlaue, gutmütige Alte. Das ist kein Name , cvječark a heißt Blumenhändlerin .
    Cvječarka aus Sarajevo. Keine Serbin, keine
Muslimin, keine Kroatin. Blumenhändlerin aus Sarajevo, und damit basta.
    Diego fotografiert
sie, er kauft ihr viele Sträuße dieser Blumen ab und schenkt sie mir,
garantiert schenkt er auch dem Lamm welche.
    Ich bin nicht
eifersüchtig, ich bin überhaupt nichts mehr. Was ringsumher ist, nimmt alles
mit sich fort.
    Diego ist es, der die
Rede auf sie bringt, während wir nebeneinander gehen, während diese Blumen sich
entfärben und bunte Tropfen verlieren. Er erzählt, dass Aska sehr geschwächt
und niedergeschlagen sei, ihre Familie sei tot, und das Kind liege ihr im Bauch
wie ein Stein. Doch es sei das einzig Lebendige, was sie noch habe.
    »Dann will sie es
vielleicht behalten.«
    Er wird sie bei
Gelegenheit danach fragen.
    »Falls das so ist …«
    Er schüttelt den
Kopf, diese Möglichkeit ist zu abwegig. Keine Frau der Welt würde ihr Kind in
der Sintflut eines Krieges lassen.
    »Dann würdest du bei
ihr und dem Kind bleiben, stimmt’s?«
    In meinem Kopf dreht
sich alles, und ich frage mich, was ich hier eigentlich tue.
    Auch der Bär ist tot,
er hat länger als alle anderen durchgehalten, monatelang. Dann ist er
gestorben. Sein pelziger Körper ist eingeknickt, und er hat sich hingestreckt,
seine Schnauze hat sich langsam geöffnet und blieb offen stehen.
    Ich gehe mit Velida
zum Bahnhof,

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