Das schönste Wort der Welt
in die
Ungefährlichkeit eines Lebens ohne Höhen, ohne Leiden und ohne Wünsche gefügt
hat.
»Magst du Bruce
Springsteen?«
Er fängt an zu
singen.
You
never smile, girl, you never speak … Must be a lonely life for a working girl …
I wanna marry you … I wanna marry you …
»Ich habe mich in
dich verliebt.«
Er lächelt mich an
und streicht sich die Haare hinter die Ohren.
Wieder erscheint er
mir nicht mehr begehrenswert, er erschreckt mich, kommt mir vor wie ein
kompletter Idiot.
»Machst du das immer
so?«
»Wie – so?«
»So im
Schnelldurchlauf … Du machst alles allein.«
»Aber ich hoffe,
alles mit dir zusammen machen zu können.«
»Ich kenne dich doch
gar nicht.«
Er erzählt mir sein
ganzes Leben, wie aus der Pistole geschossen. Jetzt weiß ich, dass sein Vater
Hafenarbeiter war und früh gestorben ist, dass seine Mutter Köchin in der
Kantine des Gaslini-Krankenhauses ist, dass er zwischen Aluminiumschalen aufgewachsen
ist, dass er in einem grauen Häuserblock wohnt, der aussieht wie ein
realsozialistischer, dabei haben ihn die Christdemokraten gebaut, doch im
Souterrain ist ein Fotoatelier, und dort hat er angefangen, nachdem er jeden
Tag verdammt herumgenervt hatte.
Es schneit immer
noch, eine krächzende Stimme verkündet, dass bis auf Weiteres alle Flüge
gestrichen sind.
Diego steht auf und
nimmt die Gitarre.
»Was will man mehr?
Wir behalten unser Ticket, und sie bezahlen uns sogar das Hotel. Nehmen wir
zwei Zimmer mit Verbindungstür?«
»Ich warte auf dem
Flughafen.«
»Der Flughafen wird
geschlossen, hast du nicht gehört? Du wirst hier bald allein sitzen.«
Ich denke an mein
Gepäck, an Fabio, der mich in Fiumicino abholen will, an meine Mutter, die
frische Tagliolini gekauft hat. Ich sehe mein schneebedecktes Leben, mein
schneegetilgtes Leben. Na und, denke ich, ich habe nichts zu befürchten, dieser
Spinner wird genau so ein braves Brüderchen wie Gojko. Die Reise war doch so:
Ich habe eine ganz annehmbare Eroberung gemacht und zwei arme Irre
abgeschleppt, einen Dichter aus Bosnien und einen Fotografen aus Genua. Fabio
wird sich amüsieren und sagen, dass die Welt voller Verrückter sei, und auch
ich sei ein bisschen verrückt, das gefalle ihm ja so an mir. Er wird mich auf
diese bestimmte Art ansehen … wie wenn er drauf und dran ist, sich auf mich zu
stürzen, glücklich wie ein Hund, der losrennt, um sich genau dort im Gras zu
suhlen, wo ein Stück Scheiße liegt. Warum sage ich das? Warum spucke ich auf
mein Leben? Wer ist dieser Junge?
»Von mir aus können
wir auch im Flughafen bleiben, ich und du ganz allein, hier drinnen festsitzend
und draußen der Schnee. Für mich ist das in Ordnung.«
Er hüpft, die Hände
in den Taschen.
»Ich bin ein Glückspilz.«
»Ach ja?«
»Ein großer
Glückspilz.«
»Wie alt bist du?«
»Vierundzwanzig, und
du?«
»Neunundzwanzig.«
Er lächelt, sagt, er
habe mit Schlimmerem gerechnet, ich sähe aus wie dreißig. Er zieht die Nase
kraus, entblößt alle Zähne. Ich betrachte dieses Lächeln, das zu groß ist für
dieses kleine Gesicht.
Nun finde ich dich in
dieser ersten Nacht in Sarajevo wieder, nach so vielen Jahren. Nach jeder Menge
Leben. Meine weiße Haut zählt mehr als fünfzig Jahre Denken und Tun. Würde ich
dir noch gefallen, Diego? Würde dir diese schlaffe Haut unter dem Kinn
gefallen, und dann diese Ärmchen? Würdest du mich heute noch mit der gleichen
triebhaften Lust lieben, mit der gleichen Freude? Du hast einmal gesagt, du
würdest mich auch lieben, wenn ich alt wäre, würdest mich auch lecken, wenn ich
klapprig wäre. Das hast du gesagt, und ich habe dir geglaubt. Was spielt es da
für eine Rolle, dass uns die Zeit daran gehindert hat, es auszuprobieren.
Irgendwo sind wir zusammen gealtert, irgendwo wälzen wir uns noch immer herum
und lachen. Das Fenster ist erloschen, man sieht Sarajevo nicht, man sieht nur eine
Straße, ein kurzes, anonymes Stück. Doch wie könnte man den Rest ignorieren?
Diese Stadt ist eine Pita, gefüllt mit Toten, mit der Unschuld entrissenen
Unschuldigen. Dein Sohn Pietro schläft, Diego.
Vor den Telefonen ist
eine lange Schlange. Gojko drängelt sich vor und brüllt, es sei ein Notfall.
Ein Ohr presst er an
den Hörer, und in das andere steckt er sich einen Finger, er spricht laut.
Hängt ein, schreit.
»Meine Mutter hat
entbunden, es ist ein Mädchen. Es ist Sebina!«
Er knallt uns die
Arme auf die Schultern und zieht uns mit. Wir müssen sofort ins Krankenhaus und
uns
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