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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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gewaschen
hat. Gojko geht zu einem kleinen, an die Wand geschmiegten Waschbecken und
kommt mit tropfnassen Händen zurück. Er hüpft mit seiner Schwester auf dem Arm
herum, küsst sie, beschnuppert sie. Er bleibt am Bett, während seine Mutter
stillt, legt den Kopf neben die beiden auf das Kissen und verharrt dort, fast ohne
Luft zu holen, wie ein Hund, der Angst hat, verjagt zu werden.
    Diego hat einen Film
eingelegt und macht ein Bild von dieser heiligen Geburtsszene. Mirna ist
verlegen, verdeckt ihre Brust mit der Hand. Die schwangere Frau aus dem
Nachbarbett hat eine kleine elektrische Herdplatte, sie kocht einen dunklen, herben
Tee aus Himbeeren, gießt ihn in Emailtassen und bietet ihn uns an. Mirnas Beine
haben rote Flecken, ich sehe es, als sie einen Fuß hervorzieht, um sich zu
kratzen. Sie bemerkt meinen Blick, lächelt verschämt und erklärt mir, das sei
ein Ekzem, das in der Schwangerschaft gekommen sei.
    Ich krame in meiner
Handtasche nach der Arnikasalbe, die ich immer dabeihabe, eine weiße,
erfrischende Creme, die ich für so ziemlich alles verwende, auch für meine ständig
rissigen Ellbogen. Ich frage sie, ob ich sie eincremen dürfe, sie habe doch das
Kind im Arm.
    Sie schüttelt den
Kopf, wehrt mit dem Fuß heftig ab. Doch ich bestehe darauf, und sie gibt nach.
Ich spüre, wie sich ihre Beine anspannen, sehe, wie sie den Kopf senkt und
schnuppert, vielleicht fürchtet sie, die Pantoffeln unter dem Bett könnten riechen.
Sie hat die kräftigen Waden einer Frau, die arbeitet, die herumläuft. Ihre Haut
ist trocken und saugt meine Creme auf. Ich lächle zu ihr hinauf, und sie lächelt
zurück. Sie bedeutet mir, dass es ihr schon besser gehe, dass die Creme
wirklich Wunder wirke. Ich sage ihr, dass ich ihr die Tube dalassen könne, wenn
sie wolle, es tue mir nur leid, dass sie schon halb leer sei.
    Mirna sagt: » Hoćeš li je ?«
    Ich frage Gojko: »Was
hat sie gesagt?«
    »Ob du das Baby
halten willst.«
    Mirna gibt mir das
von ihrem Bauch noch ganz warme Neugeborene.
    Die Frau, die den Tee
gekocht hat, erzählt eine witzige Anekdote, und alle lachen, so vergessen sie
mich für einen Moment.
    Das Baby sieht aus
wie eine alte Frau. Es hat den Geruch seiner Reise an sich, einen Geruch nach
Brunnengrund, nach Seegrund. Am Waschbecken hängt ein Spiegel, dort gehe ich
hin. Um mich mit dem Baby im Arm anzuschauen, um zu sehen, wie ich aussehe.
    Diego kommt mir nach
und fotografiert mich im Spiegel.
    »Willst du mal Kinder
haben?«
    »Und du?«
    »Ich will nichts
anderes als Kinder.«
    Er ist ernst, fast
schon traurig. Er weiß, dass ich ihm nicht glaube.
    Es schneit wieder, es
hat aufgehört, dann hat es wieder angefangen. In der Baščaršija haben die Händler vor ihren Läden Schnee
geschippt, sodass sich entlang der Gassen nun ein weißer Graben zieht. Um sechs
Uhr abends verschluckt die Dunkelheit den Schnee, aus den Bergen steigt der
Geruch von Holz herunter, das in den Kaminen brennt, der Muezzin steigt die Minarettstufen
zum Gebet hoch, und wir sind schon beschwipst.
    Gojko nötigt uns, die
Modenschau eines mit ihm befreundeten Designers zu besuchen. Das Licht ist
kümmerlich, dazu slawische Diskomusik, die Models sehen aus wie Tropenkuckucke,
Raubvogelfrisuren und mit Glitzerpailletten übersäte Kleider, so rücken sie in
einem eisigen Raum, der an eine Dorfdisko erinnert, halbnackt und mit
Kälteflecken auf dem Körper vor. Das Publikum scheint zufällig hereingekommen
zu sein, von der Straße aufgesammelte Leute auf dem Weg zur Arbeit, schlecht gekleidet,
mit Schneematsch an den Schuhen und mit triefenden, unter die Füße geworfenen
Regenschirmen. Gojkos Freund ist kahl und dicklich, er trägt ein schwarzes,
grobmaschiges Netzhemd, ein Spinngewebe, und wenn er auftritt, um sich zu
bedanken, verneigt er sich bis zum Boden wie die Callas.
    Auf der Straße kugeln
wir uns vor Lachen wie Schüler auf einer Klassenfahrt. Ich stakse mit wiegenden
Hüften durch den Schnee wie die armen, steif stolpernden Models, Diego
fotografiert mich, wirft sich mir vor die Füße, als wäre ich ein Star, und
schreit, dass er auch so ein Spinnenhemd haben will. Gojko bezeichnet uns als
zwei krastavci , als zwei besoffene Gurken. Er ist
wütend, wir sind zu einträchtig, zu albern. Wieder ist er gekränkt. Mit seinem
großen, harten, griesgrämigen Kopf und seiner mit Katze gefütterten Lederjacke
geht er vor uns her.
    Später geraten wir in
einen Klub der Underground-Szene, und wäre da nicht der Šljivovica,

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