Das schönste Wort der Welt
Schule für Fotografie geladen, keine Kränze, keine schwarzen
Autos.
Duccio starrt
entsetzt auf diese Klapperkiste von einem Leichenwagen. Er umarmt mich, die
verspiegelte Sonnenbrille klebt an seinem ausgezehrten Gesicht. Er zieht eine
Lippe ein und kaut mit seinen großen Raubtierzähnen darauf herum.
»… und er war ein
großer Fotograf … ein großer.«
Er lässt die
Fernbedienung aufblinken und tänzelt zu seinem Jaguar, der am Ausgang der
Kirche geparkt ist.
»Das hat der nie
gedacht«, sagt Viola. »Die Toten lobt man ja immer über den grünen Klee …« Sie
zieht an ihrer überdrussgetränkten Zigarette: »… denn die gehen einem am Arsch
vorbei.«
Ich reiße ihr die
Zigarette aus der Hand und trampele sie mit den Schuhen aus: »Hör auf zu
rauchen, du blöde Kuh!«
Das Licht hat sich
verändert, es ist grau geworden, vielleicht regnet es bald. Pietro hat weiße
Sachen an, er ist wach und hat die Decke weggestrampelt. Er liegt da und
fixiert die Stoffbiene, die am Verdeck des Kinderwagens schaukelt. Er hat
riesengroße Augen und den kahlen Kopf eines Insekts. Papa , sagt er, was sollen wir machen?
Tja, was soll man
machen? Dies ist keine Hochzeit, und es gibt keinen Umtrunk. Dies ist nicht mal
ein normales Begräbnis, so ohne Leichenwagen und ohne Grab. Diego wollte so was
nicht, er hat immer gesagt in den Wind , und im Wind wird er sein.
»Bring das Kind nach
Hause, Papa.«
Wir fahren durch die
Stadt zum Krematorium. Wir passieren ein Gittertor, eine staubige Allee. Es ist
ein guter Zufluchtsort, leicht wie ein Gewächshaus. Die wartenden Särge sehen
aus wie Saatgutkisten. Pino nimmt die Fahne von Genoa wieder an sich und legt
sie sorgfältig zusammen, er will sie nicht verbrennen lassen.
Auf dem kleinen
Platz, wo wir in einer Bar einkehren, steht ein Springbrunnen. Sich aufbäumende
Fontänen, Wasser, das aufsteigt, anstatt abwärtszufließen.
Diegos Mutter steigt
ins Auto. Ihr Freund schließt die Tür auf ihrer Seite. Ein Zipfel ihres Kleides
bleibt draußen, ich sehe es flattern.
Ich bin mit Pino
allein. Wir essen ein Sandwich.
»Sein Vater, wie war
der?«
Er verzieht das
Gesicht. Es ist der Schmerz eines gescheiterten Lebens. Eigentlich war Diego
derjenige, der es geschafft hatte.
»Er war ein
Arschloch, hat zu Hause herumgeprügelt, er war ein harter Brocken.«
»Diego hat von ihm
immer wie von einem Held erzählt.«
Pino trägt eine
kurze, schwarze Lederjacke und hat eine Schlägervisage. Er hüpft herum und
lächelt, wie Robert De Niro in Wie ein wilder Stier .
»Scheiße, Diego … Du
weißt doch, wie Diego war, oder?«
Nein, das weiß ich
nicht. Sag es mir, Pino.
»Nie wollte er das
Schlechte sehen, immer nur das Schöne.«
Ich betrachte den
Brunnen. Das aufsteigende Wasser. Das Schöne .
Die Koffer liegen gepackt auf dem Bett
Die Koffer liegen
gepackt auf dem Bett. Das Zimmer ist voller nasser Handtücher. Pietro trägt ein
sauberes T-Shirt, er putzt seine Ray-Ban.
»Was wollen wir
klauen, Ma?«
Ich sehe ihn an, ohne
zu begreifen.
»Wieso musst du was
klauen?«
»Irgendwas muss man
klauen, sonst sieht es so aus, als hätte einem das Hotel nicht gefallen.«
»Wer hat dir denn das
erzählt?«
»Papa.«
Dagegen komme ich
nicht an, weil der, den er Papa nennt, vor einem Monat zum Oberst der Carabinieri befördert worden ist.
Pietro schnappt sich
das Plastikschild, das an der Türklinke hängt.
»Ich lasse das DO NOT DISTURB mitgehen, okay?«
»Also hat es dir
gefallen?«
Er verzieht das
Gesicht, zuckt mit den Schultern und steckt das Schild in seinen Rucksack.
Wir ziehen die Koffer
auf den Gang, in dem aufgeplusterten Teppichboden haben die Rollen ihre Mühe.
»Tut es dir leid,
dass wir abreisen, Ma?«
»Ein bisschen, ja …«
»Mir auch, ein
bisschen.«
Ich sehe ihn an, weil
ich nicht glauben kann, dass es ihm leidtut, aus dieser bettelarmen, grauen
Stadt zu verschwinden.
Vielleicht tut es ihm
leid, sich von Dinka verabschieden zu müssen, der Kellnerin mit dem Piercing.
Obwohl sie sich kaum ansehen. Sie umarmen sich kurz, steif wie zwei Käfer.
Als wir auf der
Straße auf Gojko warten, der den Rückwärtsgang einlegt, sagt Pietro: »Ich
wusste nie, wo ich geboren bin, jetzt weiß ich es.«
»Und bist du
zufrieden?«
»Pff …«
Ich betrachte sein
Gesicht vor dem Autofenster, die rund um den Bahnhof wiederaufgebauten
Wohnblocks ziehen vorbei, und ich verstehe, was dieses Pff bedeutet. Jahrelang hat sich Pietro diesen Ort vorgestellt, an dem
er
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