Das schönste Wort der Welt
solltest die
schludrigsten Hefte deiner Klasse und die schnellsten Beine deines Wohnviertels
in Novo Sarajevo haben.
Ich spüre jemanden
neben mir. Und fürchte, dass mir nach diesem Schlag das Kind aus den Armen
fällt, meine Beine werden schlaff, das Blut weicht mir aus dem Kopf und sackt
vollständig in die Füße. Ich habe kein bisschen Farbe mehr im Gesicht. Ich
schaue nicht zur Seite. Dieser Ellbogen gehört zu ihm, und auch dieser Geruch.
Ich presse Sebina an mich, sie wiegt nicht viel, doch ich habe wirklich Angst,
sie nicht festhalten zu können. Er ist es. Diese Art aufzutauchen ist seine. Er
ist es, weil er ein Trottel ist, weil er sich nicht darum geschert hat, dass
ich in Ohnmacht fallen könnte.
Er neigt sich zu mir
und flüstert mir ins Ohr: »Ich bin der Taufpate.«
Jetzt wird mir alles
klar, der Sinn dieses Tages und dieses Ortes. Gojkos verschlagener und weicher
Blick. Später, als ich ihm gehörig in den Bauch boxe, wird er zugeben: »Du
ahnst nicht, wie schwer es für mich war, es dir nicht zu sagen, aber ich hatte
es versprochen.« Ich merke, dass ich genau darauf gewartet habe, dass ich in
dieser Kirche genau das von Gott erbeten habe. Ich erbat es bei jedem Körper,
der hereinkam.
Allmählich kehrt das
Blut durch die Halsvenen in mein Gesicht zurück, ich kann mich umdrehen und ein
bisschen von ihm anschauen … eine Hand, ein Haarbüschel, ein Stück seiner
Jeans.
Er ist allerdings
nicht der Pate. Später wird Gojko erzählen, dass er sich gefreut hätte, wenn
wir beide Sebinas Taufpaten gewesen wären, doch es habe familiäre Zwänge
gegeben. Und dass Diego ihm geraten habe, doch mich zu bitten, So ist sicher, dass sie kommt . Diego wusste nicht, ob er
rechtzeitig da sein würde, er war zwei Tage und zwei Nächte unterwegs und
riecht jetzt nach Flughafen, nach Wartezeiten.
So trete ich mit
einem anderen ans Taufbecken, einem Herrn mit einem großen, schwarzen
Schnauzbart, Mirnas Bruder.
Trotzdem ist diese
Taufe unsere Taufe. Als das Wasser Sebinas Körper benetzt, hebe ich den Blick
und treffe auf Diegos.
Wir sitzen im Freien
vor einer Berghütte mit einem gigantischen ausgestopften Bären am Eingang und
essen an der langen Tafel, an der Sebina gefeiert wird, Forellen und Bosanski
Lonac. Ich rede, leere meine Kehle und mein Herz. Wir geben uns unter dem Tisch
die Hand. Diese Hände glühen, beben. Unsere Hände erneut zusammen. Er staunt,
weil ich so gefügig bin. Vielleicht glaubt er mir nicht. Er schwitzt und
trinkt. Er hat so eine Suppe nicht für möglich gehalten, so eine Henne, die
keinen Kamm und keine Krallen mehr hat. Er betrachtet meine kurzen Haare und
mein ungeschminktes Gesicht.
»Du bist jünger
geworden und ich älter.«
Er zeigt mir ein
weißes Haar in den Koteletten, die er sich hat wachsen lassen. Er hat weniger
Haare, ist sonnenverbrannt und abgemagert. Vielleicht hat er recht, er wirkt
älter. Ein paar Monate. Er hebt den Arm, steckt seine Nase in die Achselhöhle,
entschuldigt sich bei mir, weil er stinkt. Er hat sich nur auf der Toilette
eines Flughafens gewaschen und trägt seit drei Tagen dasselbe T-Shirt.
»Wieso, wo warst du
denn?«
»Am anderen Ende der
Welt.«
Er stand in einem
schlammigen Strom und riskierte neben einer trägen Kolonie von Kaimanen seine
Beine und sein Leben. Er fotografierte einen alten Fährmann auf seinem voll
beladenen Bambusboot und die Fracht aus in der Sonne getrockneten Fellen. Es
ging ihm gut, er rappelte sich langsam wieder auf, hatte sogar versucht, mit
einem Mädchen zu schlafen, einer Deutschen, in einem Bungalow unter einem
Propellerflügel, der Mücken herumscheuchte. Sie war aufgestanden, um die Tür zu
schließen, weil sie Angst davor hatte, dass Schlangen hereinkamen. Er hatte ihr
zugesehen. Die wenigen Schritte hatten genügt, um ihm klarzumachen, dass er es
nicht schaffen würde.
»Du Lügner, und was
hast du ihr gesagt?«
»Dass ich Dünnpfiff
habe. Ich habe mich im Klo eingeschlossen, bis sie gegangen ist.«
Er lacht. Sagt, er
habe geglaubt, es ginge ihm gut, er sei bei Tagesanbruch aufgestanden, habe die
Sonne abgepasst, die aus der Hochebene kam, schon rot, wie einer dieser Lutscher voller Farbstoffe , er habe Filme in die Kameras gelegt
und sei durch den Regenwald zu den Dörfchen der Seringueros gewandert. Am Ende
sei ihm der Gedanke durch den Kopf gespukt, sich dort niederzulassen wie ein
Einsiedler, wie ein Mönch. Er sieht mich an, lächelt sein kleines Lächeln und
wirft die Haare zurück.
»Aber ich
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