Das schönste Wort der Welt
schiebt den Servierwagen
herein. Später liegt das Tablett neben den zertrampelten Handtüchern auf dem
Boden. Wir sind wieder im Bett. Ich liege auf dem Rücken, meine Brüste fallen
auseinander, eine dahin, eine dorthin. Diego fotografiert meinen Bauch, presst das
Objektiv auf meinen Nabel. Erst am Nachmittag ziehen wir uns an. Er kann seine
Socken nicht finden, sucht sie im ganzen Zimmer, bückt sich, um unters Bett zu
schauen, ich bücke mich auf der anderen Seite auch. Wir bleiben eine Weile so
dort unten und sehen uns an, zu beiden Seiten des Bettes. Am Flughafen sagt er:
»Was soll ich bloß tun?«
»Warte auf mich.«
Er ist
niedergeschlagen, hat seinen Rucksack voller Dreckwäsche auf den Boden
geschmissen, malträtiert eine verrostete Schnalle.
»Du wirst mich wieder
sitzenlassen, das steht geschrieben.«
»Entschuldige, aber
wo steht das geschrieben?«
Er lässt mich stehen,
geht zur Toilette und kommt fast augenblicklich zurück. Er hat eine Hand auf
der Stirn.
»Bitte sehr, hier
steht’s geschrieben.«
Er nimmt die Hand
weg, ich lese SCHEISSKERL , mit Kugelschreiber auf die Stirn
geschrieben. Ich spucke auf meinen Finger, reibe. Seine Stirn bleibt ein bisschen
blau.
»Du bist ein Idiot.«
»Ich bin
verzweifelt.«
Ich komme nach Hause,
um diese Zeit ist Fabio nicht da, ich weiß es. Ich suche meine Siebensachen
zusammen und packe sie in Mineralwasserkartons, ich will keinen Koffer von ihm
nehmen. Ich setze mich aufs Sofa, rauche eine Zigarette und sehe mir im
Fernsehen die Nachrichten an. Der Sprecher hat dicke Brillengläser und
schmächtige, eckige Schultern, es sieht aus, als steckte sein Hals in einer
Schachtel. Er liest die Meldungen vor. Hinter ihm die Universität La Sapienza
und das Bild eines leblosen Körpers, in einem Auto zusammengesackt. Dazu das
weiße, maschinengeschriebene Flugblatt mit dem fünfzackigen Stern der Roten
Brigaden. Dann die Kuppeln des Roten Platzes. Vor ein paar Tagen ist
Tschernenko gestorben. Über den Bildschirm laufen die Bilder des neuen
Generalsekretärs der KP d SU . Er wirkt sympathisch, trägt einen schwarzen Mantel, der sich im
Wind öffnet, er lächelt. Sein Gesicht rund wie das eines Bäckers, auf der Stirn
ein Fleck, der wie eine Landkarte aussieht. Fabio kommt nach Hause und wirft
die Sporttasche auf den Boden. Er ist überrascht, als er mich sieht. Ich rede
mit ihm. Er sagt nichts. Sagt: »Ich muss mich erst mal sortieren.«
Er schaut sich um:
Die Wohnung gehört ihm, sie ist aufgeräumt, er wirft einen kurzen, taxierenden
Blick in die Runde … findet sich mit dem, was geschehen ist, rasch ab, ohne
viele Fragen zu stellen. Doch dann weint er. Er kommt aus der Dusche und hat
rote, verquollene Augen. Er klammert sich an eine Milchtüte. Ich rate ihm, nach
dem Verfallsdatum zu sehen. Er spuckt in die Spüle, sagt verdammt , sagt, die Milch sei sauer, sieht
mich besorgt an, fragt, ob ihm das schaden könne. Ich schüttle den Kopf: »Das
ist wie Joghurt.«
»Du wirst mir
fehlen«, sagt er. Er weint nicht mehr. Er hat sich schon sortiert.
Er hilft mir, meine
Sachen runterzubringen, auch die Bücher. Er schwitzt, zwängt sich durch die
Fahrstuhltür und betrachtet seine kräftigen Fitness-Arme im Spiegel, während
wir hinunterfahren. Ich bedanke mich bei ihm, umarme ihn. Es ist, als würde ich
den Hauswart an mich drücken, jemanden, der dich grüßt, wenn du nach Hause
kommst, und dir die Post aushändigt.
Ich habe nie mehr an
ihn gedacht. Doch letzten Sommer sah ich ihn wieder. Wir fuhren gerade auf die
Fähre nach Korsika, ich stand im Eisenbauch des Schiffes, in dem Gestank nach
Meer und Diesel eingekeilt zwischen den schon parkenden Autos. Giuliano hatte
sich wie immer in die langsamste Reihe gestellt, und ich war aufgestanden, um
mich grün und blau zu ärgern und an die offene Wagentür gekrallt nach den Autos
weiter vorn Ausschau zu halten, die durch eine zusätzliche Schlange von einem
anderen Pier abgeklemmt wurden. Giuliano saß seelenruhig da und las Zeitung.
Wir stritten uns. Pietro schlug sich wie üblich auf Giulianos Seite, er hatte
die Stöpsel seines iPods aus den Ohren genommen und verkündete Ist das bescheuert, sich in den Ferien zu
streiten .
Schließlich fuhr ich das Auto auf die Fähre, und die beiden gingen über die
Fußgängerrampe an Bord. Pietro kam zurück, um seine Gitarre zu holen. Also
stand ich verschwitzt da und wühlte in unserem Kofferraum, der sich nicht ganz
öffnen ließ. In der Nachbarreihe stand Fabio. Er
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