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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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glitten in die Tiefe, um einen Fisch zu fangen. Diego
fotografierte diesen Moment, den Fisch, der an die Oberfläche kommt, und den
eintauchenden Schnabel, der ihn schnappt. Das gebauschte Meer und mittendrin
dieser räuberische Körper, der fast ertrinkt, weil er es mit einem fremden
Element aufnimmt. Dann der silbrige Kampf am Himmel. Das Leben des Vogels und
der Tod des Fisches. Im Bruchteil einer Sekunde.
    Diego greift nach
meiner Hand, der Tag ist klar, blitzblank. Alles wirkt unecht. Wie eine lichte
Kopie der Wirklichkeit. Die Inseln sind buchstäblich wie aufs Wasser gesetzt.
    »Hier würde ich gern
leben … Irgendwann kommen wir wieder her, wir schmeißen einfach alles hin.«
    Heute sieht man sogar
Italien. Hinter dem Gespinst der Inseln verläuft am Horizont eine dunkle Linie.
    »Wir wohnen so dicht
dran.«
    Gojko lässt mich
nicht aus den Augen, ich spüre seinen Blick hinter der Sonnenbrille, der sich
bis zu mir erstreckt. Ich versinke in lange Momente des Schweigens. Wiederhole
ein und dieselbe Bewegung immer wieder, nehme den körnigen Sand auf und lasse
ihn langsam durch die Sanduhr meiner geschlossenen Hand rinnen.
    Sie kommen gegen zwei
Uhr nachmittags, in der heißesten Stunde. Eine Gruppe Kinder von der Insel, sie
stürmen aus den Sträuchern hervor und laufen auf das Meer zu. Wie kleine, aus
der Macchia hervorbrechende Wildschweine sehen sie aus. Ihre Körper sind
schmächtig, ihre Badehosen salzverschlissen.
    Eines von ihnen, das
kleinste, löst sich manchmal aus der Gruppe, läuft auf uns zu und bleibt
stehen, es kauert sich auf den Boden und verharrt reglos, nur leicht auf den
angewinkelten Beinen schwankend. Es sieht aus wie ein Ei.
    Vermutlich will es
Geld wie die Kinder am Hafen, die ins Wasser springen, wenn die Fähren aus
Dubrovnik ankommen. Wie alt mag es sein? Sieben, höchstens acht. Sein Kraushaar
starrt vor Salz und sieht aus wie die Haarbüschel einer Ziege. Mir kommt es so
vor, als sei es heute etwas näher als sonst herangerückt. Seine Augen
beobachten uns, schwarz und reglos wie große, glänzende Knöpfe. Ich schlummere
ein und wache wieder auf. Die Rotznase ist immer noch da. Meine Beine sind leicht
geöffnet. Das Kind starrt auf das Bikinidreieck, auf die Wölbung zwischen den
Schambeinknochen. Ich schließe die Beine und ziehe den Stoff zurecht. Was ist
das für ein Kind?
    Jetzt steht es bis
zum Bauch im Meer. Unbeweglich schaut es auf das Wasser rings um seinen Körper.
Ich verstehe nicht, was es da macht. Plötzlich taucht es eine Hand ein, es
versucht, Fische zu fangen. Diego schiebt sich zu den Klippen vor. Das Kind
schaut vom Wasser auf.
    Die anderen Kinder
interessieren sich für den Fotoapparat, es sind zu viele, sie haben zu viele
Hände. »Pass bloß auf«, habe ich zu Diego gesagt, »vielleicht nehmen sie ihn
dir weg und werfen das Objektiv in den Sand, um dich zu ärgern.« Doch er lässt sich
anfassen, hat keine Angst, obwohl ein paar von ihnen schon groß sind, stämmige,
lästige Körper, und bereits ausgebildete Muskeln haben. Einer hat einen roten
Fleck im Gesicht, wie von einem Saftspritzer, ein anderer hat als Einziger in
der Gruppe Schwimmflossen. Schwarz und gelb, genauso wie die eines
französischen Touristen, der sie vor seiner Abreise lange gesucht hat. Der Junge
zieht sie nicht aus, er schwimmt nicht damit, sondern watschelt über die
Kieselsteine wie ein lächerlicher Pinguin.
    Diego fotografiert
die Kinder vor den Klippen, ich sehe, wie sie in Grüppchen posieren und laut
kichern. Das Kleinste scheint gar nicht zur Gruppe zu gehören, niemand nimmt
Notiz von ihm. Es steht immer noch im Wasser, fest wie ein Zaunpfahl. Jetzt
stehen alle um Diego herum. Ich sehe ihn am Strand hocken, umlagert von dieser
Schar ärmlicher Jünger. Er hat das Objektiv abgeschraubt und erklärt etwas, ich
weiß nicht, in welcher Sprache. Die Kamera hängt jetzt am Hals des Jungen mit
dem roten Muttermal im Gesicht, nun schießt er die Fotos. Diego lacht.
    Er kommt zu mir
zurück, sein gebräuntes Gesicht ist noch voll von diesem Lachen. Er packt die
Kamera in das Lederfutteral.
    »Sie lassen mich
nicht mehr in Ruhe.«
    »Hast du gute Bilder
gemacht?«
    »Keine Ahnung.«
    Er weiß nie, ob seine
Fotos gut geworden sind, ob da etwas sein wird, was es wert ist, gerettet zu
werden. Ein Bild, nur ein einziges, das die Berge von weggeworfenen Filmen
aufwiegt. Wenn er fotografiert, sieht er falsche Dinge, Meisterwerke, die aber
Mist sein werden. Zwischen den Fehlern scheint das

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