Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)
Ort hält mein Herz in seinem Bann …«
Doch diesmal war es nicht Sophias Stimme, sondern meine eigene.
»Es ist merkwürdig, das muss ich zugeben«, versuchte Jane mich am Telefon zu beruhigen.
»Merkwürdig ist die Untertreibung des Jahrhunderts«, widersprach ich.
»Carrie, meine Liebe, du hast ein fotografisches Gedächtnis und kannst Gespräche Wort für Wort wiedergeben, die vor drei Jahren stattgefunden haben. Bestimmt hast du die Pläne schon mal irgendwo gesehen und vergessen, das ist alles.«
»Wie könnte ich sie vergessen haben, wenn mein Gedächtnis so phänomenal ist?«
Sie seufzte. »Widersprich deiner Agentin nicht.«
Ich stritt mich nie mit Jane, weil ich genau wusste, dass ich keine Chance gegen sie hatte, wenn sie sich sicher war, im Recht zu sein. »Du glaubst also nicht, dass ich plötzlich hellseherische Fähigkeiten entwickle?«
»Erst, wenn du im Lotto gewinnst«, entgegnete sie. »Offen gestanden, denke ich eher, dass du dich zu sehr in dieses neue Buch vertiefst und erschöpft bist. Du solltest dir einen freien Abend gönnen, die Füße hochlegen und nichts tun.«
Ich machte sie darauf aufmerksam, dass ich keine Alternative zum Schreiben hatte, weil es in dem Cottage nicht einmal einen Fernseher gab.
»Tja, dann geh eben ins Pub und genehmige dir ein paar Drinks.«
»Keine gute Idee. Morgen früh mache ich eine Klippenwanderung. Da kann ich keinen Kater gebrauchen.«
»Du hast mir doch versprochen, den Klippenweg nicht allein zu gehen.«
»Ich bin ja auch nicht allein.« Warum hatte ich das nur gesagt? Jane mit ihrem untrüglichen Instinkt würde mein Interesse an Graham Keith mit Sicherheit bemerken.
»Ach. Und wer begleitet dich?«
»Jemand, den mein Vermieter kennt.« Um die Sache zu vertuschen, erzählte ich ihr von Jimmys Liste der Leute, die ich seiner Meinung nach kennenlernen sollte. »Er hält mich auf Trab.«
»Nett von ihm.« Aber sofort nahm sie die Witterung wieder auf: »Und wie ist sein Freund? Jung? Alt? Attraktiv?«
»Er lehrt Geschichte an der Uni in Aberdeen.«
»Das habe ich dich nicht gefragt.«
»Nun, wie sieht der typische Geschichtsprofessor deiner Erfahrung nach denn aus?«
Darauf sagte sie nichts, doch ich kannte sie lange genug, um zu wissen, dass sie auf lange Sicht keine Ruhe geben würde. »Jedenfalls«, sagte sie schließlich, »solltest du heute nicht mehr an den Computer gehen. Dein armes Hirn braucht ganz offensichtlich eine Pause.«
»Vielleicht hast du recht.«
»Natürlich hab ich recht. Rufst du mich morgen nach der Klippenwanderung an, damit ich weiß, dass du nicht runtergefallen bist?«
»Ja, Mama.«
Ich machte mich tatsächlich nicht mehr an die Arbeit, obwohl Dr. Weirs Artikel über Slains sowie Samuel Johnsons und Boswells Schilderungen ihres Aufenthalts dort verlockend nahe bei meinem Sessel lagen, in den ich mich jetzt mit einer Tasse Tee setzte. Zuvor hatte ich das elektrische Feuer im Kamin eingeschaltet, um vor mich hin zu dösen, bis ich irgendwann einschlief.
3
Sie mochte den Gärtner nicht. Er war nicht wie Kirsty oder Rory oder die Köchin Mrs. Grant oder der behäbige Mälzer, der sich fast immer im dunklen Brauhaus aufhielt und den Sophia nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatte, oder wie die Milch- und Kuhmägde, die kichernd an ihr vorbeirannten, wenn sie sich nach draußen wagte.
Er war nicht sonderlich alt, wirkte aber so mit seinem kantigen Gesicht und den freudlosen dunklen Augen, die stets auf Sophia gerichtet zu sein schienen.
Obwohl er nicht in Slains wohnte, hielt er sich jetzt im Frühjahr die ganze Zeit dort auf.
»Oh, aye«, sagte Kirsty. »Billy Wick. Den kann ich selber nicht leiden. Er zieht mich mit Blicken aus. Der verstorbene Earl mochte seinen Vater, der vor ihm hier Gärtner war. Deswegen beschäftigt die Countess ihn weiter.« Kirsty, die gerade die Glut geschürt hatte, kehrte mit Sophia in die Küche zurück.
Mrs. Grant hinderte Sophia inzwischen nicht mehr daran, sich mit der etwa gleichaltrigen Kirsty abzugeben. In Schottland war es Sitte, dass die Söhne von Gutsherren und Bauern gemeinsam die Schulbank drückten und in der Kindheit miteinander spielten, was in den großen Häusern zu einem guten Verhältnis zwischen Bediensteten und Herrschaft führte. Und solange Kirsty Sophia gegenüber in Gegenwart der Countess den angemessenen Respekt zeigte, schien es Mrs. Grant egal zu sein, was die beiden im Bereich der Bediensteten trieben.
Auch Mrs. Grant
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