Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)
riskanter Schachzug, dachte ich, als ich das Buch schloss. Er hatte das Meer im Norden tatsächlich für seinen König freigehalten.
Aber inzwischen mussten sich die Bewohner von Slains wohl größere Sorgen über Bedrohungen von der Landseite machen.
13
Der November brachte eine Woche voller Stürme und einen weiteren unerwarteten Gast. Er kam zu Pferde, herangeweht von einer steifen Brise aus Norden und heftigen Regengüssen; sein Umhang hing klatschnass über den dampfenden Flanken seines Rosses. Sophia, die gerade dabei war, mit der Stute zu reden und Hugo mit Küchenabfällen zu füttern, erschien der Fremde dunkler als der Teufel und genauso groß.
Als er abstieg, trat sie einen Schritt zurück und legte die Hand auf Hugos Halsband. Es überraschte sie, dass der Hund nicht knurrte. Sie überlegte, ob es ihr gelingen könnte, sich hinauszuschleichen, bevor der Fremde sie bemerkte. Er stand jetzt mit dem Rücken zu ihr vor seinem Pferd und wirkte gar nicht mehr so groß. Der weite Umhang mit der Kapuze, die sein Gesicht verdeckte, hatte sie getäuscht.
Argwöhnisch beobachtete sie, wie er sein Ross versorgte, den Sattel herunterhob und das schwer atmende Tier mit sauberem Stroh abrieb. Kein Teufel hätte sich solche Mühe gemacht. Sophias Angst schwand vollends, als der Mann sich schließlich ihr zuwandte und die Kapuze zurückschob. Darunter kam ein kantiges, wettergegerbtes Gesicht mit angenehmen Zügen und sorgfältig gestutztem braun-grauem Bart zum Vorschein. Er trug keine Perücke. Auch in seinen zurückgebundenen Haaren waren graue Strähnen.
»Hab ich dich erschreckt?«, fragte er im melodiösen Tonfall der Highlander. »Entschuldigung. Ich hab dich dort hinten in den Schatten für einen Stalljungen gehalten. Ist irgendjemand da?«
»Ein Stalljunge?« Sie wusste nicht, wo Rory sich herumtrieb.
»Nun, ich brauche nur eine Decke und eine Box, um alles andere kann ich mich selbst kümmern.«
»Colonel Graeme!«, war da Rorys Stimme zu hören, der gerade hereinkam.
»Aye. Ich hätte nicht gedacht, dass man sich hier noch an mich erinnert – mein letzter Besuch dürfte zwei Jahre zurückliegen«, sagte der Mann überrascht. »Das Pferd könnte etwas Warmes zu fressen vertragen, wenn sich das irgendwie machen ließe. Wir waren den ganzen Tag im Regen unterwegs.«
»Ich kümmere mich darum«, versprach Rory, »und währenddessen kann Mistress Paterson Ihnen das Haus zeigen.«
»Mistress Paterson?« Als er sie mit unverhohlenem Interesse betrachtete, schmunzelte Sophia unwillkürlich. Es war nicht seine Schuld, dass er sie für eine Bedienstete gehalten hatte, hier im Stall, in einem ihrer alten Kleider und mit den schlammverkrusteten Schuhen. Sie löste die Hand vom Halsband des Mastiffs und deutete einen Knicks an.
»Colonel. Darf ich Sie zur Countess und zum Earl of Erroll bringen?«
»Gern.«
Sie ging ihm durch die Stallungen und Lagerräume voran. Colonel Graeme war nicht viel größer als sie selbst und erinnerte sie mit seiner kompakten Statur an Moray. Ähnlich wie dieser trug Colonel Graeme unter dem Umhang Lederweste, Hose und Stiefel, und der Gurt mit dem Schwert hing locker über seiner Schulter.
»Mein Gedächtnis ist nicht mehr das beste«, sagte er mit einem Seitenblick auf Sophia. »Aber Sie waren doch vor zwei Jahren noch nicht in Slains, oder?«
Sie mochte seine Augen und sein Gesicht. »Stimmt. Ich bin erst letztes Frühjahr hierhergekommen.«
»Aye?« Er musterte sie interessiert. »Also vor Colonel Hooke und seinem Begleiter?«
Inzwischen hatten sie die Stufen erreicht, die nach oben führten, und sie war dankbar, dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Obwohl sie den Mann sympathisch fand, durfte sie nicht unvorsichtig werden. »Colonel Hooke …«, wiederholte sie kopfschüttelnd, »tut mir leid, der Name sagt mir nichts.«
»Egal.«
Als sie das obere Stockwerk erreichten, trat der Earl aus der Bibliothek. Fast wären sie zusammengestoßen.
»Colonel Graeme!« Der Earl begrüßte ihn mit einem Händedruck. »Wo in Gottes Namen kommen Sie denn her?«
»Das erkläre ich Ihnen, sobald ich einen Whisky habe.«
So vertraut hatte Sophia noch niemanden mit dem Earl sprechen hören. Vermutlich kannten sich die beiden schon lange. Dieses Gefühl verstärkte sich, als der Earl dem Colonel die Hand auf die Schulter legte, ihn in den Salon dirigierte und sagte: »Mutter, schau, wer da ist.«
Die Countess gesellte sich lächelnd zu ihnen. »Ich habe gar
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