Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)
im Auge haben und Ihren Verstand vor den Waffen einsetzen. Als ich meinen Springer bewegte, war Ihr erster Gedanke doch, sich den Turm zu holen, den ich ungeschützt gelassen hatte, oder? Genauso geht es Soldaten, wenn sie zum ersten Mal aufs Schlachtfeld kommen. Sie meinen, am wichtigsten sei es, Boden zu gewinnen und jede Lücke zu nutzen.«
»Ist das denn nicht so?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht immer, nein. Im Krieg wie beim Schach muss man seinen König schützen. Man kann eine Schlacht nicht als gewonnen betrachten, wenn der König verloren ist.«
Sophia konzentrierte sich wieder aufs Brett. Sie fand keinen Zug, der ihren König außer Gefahr gebracht hätte, wusste aber, dass es einen geben musste, weil der Colonel »Schach«, nicht »Schachmatt« gesagt hatte. Sie überlegte immer noch, als die Countess hereinkam.
»Besuch, jemand, den ich nicht sonderlich gut leiden kann«, informierte sie ihren Sohn. »Er bringt Briefe vom Earl of Marischal.«
Der Gast, ein Mann jenseits der sechzig mit kräftigem Körper, breitem Gesicht und riesigen Händen, in denen die des Earl zu verschwinden schienen, als sie einander begrüßten, wartete im Salon. Er war größer als der Earl, deutlich über eins achtzig, und trug die Kleidung der Highlander.
»Bei Gott!«, rief Colonel Graeme aus, der nun den Raum hinter Sophia betrat. »Captain Ogilvie!«
Die Countess wandte sich ihm zu. »Sie kennen sich?«
»Aye, wir haben beide in Frankreich gedient«, antwortete Colonel Graeme und begrüßte den Gast voller Freude. »Wie geht’s?«
Captain Ogilvie schien sich genauso sehr über die Begegnung zu freuen wie der Colonel. »Ganz gut, obwohl ich inzwischen zu alt zum Kämpfen bin und mir mein Brot anders verdienen muss. Aber was ist mit Ihnen? Ich dachte, Sie sind in Flandern.«
»Ich habe wegen einer Familienangelegenheit die Erlaubnis erhalten, nach Schottland zu kommen«, antwortete der Colonel. »Aber ich kehre bald zurück.«
»Sie sind bestimmt müde, Captain«, sagte die Countess, »wenn Sie heute die ganze Strecke vom Earl of Marischal hierher geritten sind. Bleiben Sie doch in Slains, bis Sie sich erholt haben.«
Ogilvie verbeugte sich dankbar. »Zu freundlich, Countess.«
»Keine Ursache. Ich rufe Ihnen einen Bediensteten, der Sie zu Ihrem Zimmer bringt.«
Als er draußen war, wandte sie sich Colonel Graeme zu. »Patrick, erzählen Sie mir alles, was Sie über diesen Mann wissen.«
»Er verdient Ihr Vertrauen«, sagte er.
»Warum?«
»Weil er für die Stuarts mehr erlitten hat als Sie oder ich. Vor zwanzig Jahren war er für den alten King James in der Schlacht; er gehörte zu den mutigen Highlanders, die bei Killicrankie mit Dundee die englischen Linien durchbrachen. Als sich das Kriegsglück wendete, schloss er sich den Highlanders an, die dem König ins Exil folgten, insgesamt einhundertfünfzig. Sie opferten für ihn alles, was sie hatten, und gaben sich mit geringem Soldatenlohn zufrieden. Im Rhein liegt eine Insel, deren Name noch heute an sie erinnert, weil sie sie auf Highlander-Art stürmten, nachts Arm in Arm bis zu den Schultern im Wasser hinüberwateten, um sie von einer zahlenmäßig überlegenen Armee zu erobern. So wurden sie zur Legende. Vor zehn Jahren, als ich Captain Ogilvie kennenlernte, waren von den hundertfünfzig nur noch zwanzig übrig. Inzwischen dürften es deutlich weniger sein.«
Die Geschichte schien den Earl zu bewegen. »Ich hätte nie gedacht, dass einer dieser Männer einmal unter meinem Dach Zuflucht suchen würde. Natürlich ist er hier willkommen.«
»Danke, Patrick«, sagte die Countess, doch Sophia hatte den Eindruck, dass sie nicht wirklich überzeugt war.
Als sich Colonel Graeme am folgenden Morgen mit Sophia in der Bibliothek traf, um ihr Spiel fortzusetzen, trat Ogilvie ein. Der sah sie, murmelte eine Entschuldigung und wollte sich wieder zurückziehen, doch das ließ Colonel Graeme nicht zu. »Leisten Sie uns Gesellschaft, Captain.«
»Wenn ich nicht störe.«
»Aber nein. Außerdem verbessert sich unser Spiel möglicherweise vor Publikum.«
Während sich Captain Ogilvie in einen Sessel beim Kamin setzte, studierte Sophia die Position der Figuren auf dem Brett, in der Hoffnung, den rettenden Zug für ihren König doch noch zu finden.
Colonel Graeme beobachtete sie belustigt. »Es gibt einen Weg aus dieser Zwickmühle«, sagte er.
»Aber den wollen Sie mir nicht verraten, stimmt’s?«
»Er hat mit Ihrer Königin zu tun.«
»Meine Königin …« Es
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