Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)
auch keine Hoffnungen aufs Frühjahr machen. Sie können sich darauf verlassen: Der Frühling kommt. Und mit ihm er.«
Er meinte den König, redete sich Sophia ein. Doch als sie in seine Augen sah, war sie sich nicht mehr so sicher.
Sie redeten nie über Moray. Der Colonel schien sich mit der Information zufriedenzugeben, dass er sich in Slains wohlgefühlt hatte. Die beiden Männer waren sich sehr ähnlich: Sie achteten die Privatsphäre anderer und schützten ihre eigene.
Sophia versuchte, dem Rat des Colonel zu folgen und das Versprechen zu sehen, das das winterliche Meer barg, aber es gelang ihr nicht. Das grüngraue Wasser verband sich mit den dunklen Wolken, die sich, von Stürmen kündend, in Richtung Küste schoben.
In all der Zeit, die Sophia nun schon von der geplanten Rückkehr des Königs wusste, hatte sie kein einziges Mal am Gelingen des Vorhabens gezweifelt. Jetzt änderte sich das.
Von meinem Fenster aus sah ich die sich an der Hafenmauer brechenden Wellen. An diesem Morgen wehte eine steife Brise, die das Wasser zu einem über dem schneebedeckten Ufer hängenden Gischtnebel hochpeitschte. Drau-ßen warfen die grauen Wolken, die die Sonne verdeckten, dunkle Schatten aufs Meer.
Es war nicht schwierig, sich hier in Sophias Gefühle hineinzuversetzen. Inzwischen spürte ich sie überall, die Menschen, die damals in Slains gelebt hatten, und es fiel mir immer schwerer, mich von ihnen zu lösen.
Eigentlich hatte ich eine Pause machen und ein wenig schlafen wollen, doch dann war nur Zeit für einen Toast und eine Tasse Kaffee, bevor ich schon wieder ihre Stimmen vernahm.
Ich bemühte mich, die Ohren zu verschließen, aber der Wind heulte mir zu: »Dir bleibt keine Wahl.«
15
Sie hatte vorgehabt, ein wenig bei den Pferden im Stall zu bleiben, doch als sie Kirsty und Rory dort entdeckte, entfernte sie sich, weil sie die beiden nicht stören wollte.
Es hatte tatsächlich geschneit, und die kahlen Äste der über die Gartenmauer hängenden Bäume waren mit einer dicken weißen Schicht überzogen. Aus dem Kamin der Hütte von Billy Wick stieg Rauch. Ihn selbst hatte Sophia seit Captain Gordons Besuch eine Woche zuvor nicht mehr gesehen, aber jetzt entdeckte sie seine dunkle Gestalt vor einem verschneiten Busch, dessen verwachsene Zweige sich landeinwärts bogen, als wollten sie den heftigen Winden von der Nordsee entkommen.
Billy Wick war nicht allein, sondern befand sich in Gesellschaft eines großen, kräftigen Mannes mit einem dicken Wolltuch um Kopf und Schultern. Sophia erkannte ihn sofort: Captain Ogilvie. Was hatte er wohl mit Billy Wick zu schaffen?
Die beiden unterhielten sich, und dann wechselte ein Objekt, das Sophia nicht erkennen konnte, den Besitzer.
Hastig entfernte sich Sophia in Richtung Haus und Bibliothek.
Wie erhofft, traf sie dort den Colonel an, der sie mit einem Lächeln begrüßte. »Na, schon wieder zurück? Wollen wir eine Partie wagen?«
Ohne das Schachbrett zu beachten, fragte sie: »Kann ich mit Ihnen sprechen?«
Er richtete sich auf. »Aye, natürlich.«
»Nicht hier«, erklärte sie aus Angst, dass Ogilvie hereinkommen könnte. »Würden Sie einen Spaziergang mit mir machen?«
»Was, jetzt? Draußen?«
Sie nickte.
Colonel Graeme warf einen bedauernden Blick aufs Feuer und schloss das Buch, in dem er gerade gelesen hatte. »Wo sollen wir hingehen?«
Der Schnee lag nicht sehr hoch auf den Klippen, wo der Wind ihn schnell wegblies. Es war später Nachmittag, und aus den Kaminen der Cottages drang weißer Rauch, der ein wenig wie die Atemwolken vor ihren Mündern aussah.
Sie gingen den Hügel hinauf und zum langen Strand hinunter. Der Sand fühlte sich, anders als im Sommer, fest an unter ihren Füßen, und zwischen den Grasbüscheln auf den Dünen lag Schnee.
Hier konnte sie niemand hören.
»Als Ihr Neffe in Slains war«, begann Sophia, »hat er mir von einem seiner Abenteuer in Gesellschaft Simon Frasers erzählt.«
Colonel Graeme sah sie fragend an. »Ach. Was denn?«
»Dass der König ihn mit Simon Fraser hierhergeschickt hatte, um herauszufinden, wie viele Männer er für einen Aufstand gewinnen könne, und um sich mit den Adeligen in den Highlands und in Edinburgh zu treffen.«
»Es war die Königin, King James’ Mutter, die ihn damals schickte, denn sie schätzt ihn sehr. Hat er Ihnen das auch erzählt?«
Sophia schüttelte den Kopf.
»Aye, er stellt sein Licht gern unter den Scheffel. Als Fraser ohne John nach Frankreich
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