Das Schützenhaus
jefallen. Aber für ’t Jras sollet ooch jut sind. Haste jehört, Hansi, det unser Kameldrajoner und Laura een Paar werden? Mich soll’t recht sein, Hauptsache, se besuchen mir häufich.«
Er schob die Brille hoch, in jener typischen Weise, die Joachim ebenso zu eigen war. »Is man jut, det die Frieda bei mich ist. Aber et is schwierich, seit deine Jroßmutter über den Gudelacksee zu Jrabe fuhr, nach ihren eijenen Wunsch und Ermessen. Sie hatte det in ein altes Buch jelesen, det is früher schon mal passiert, zu eine Zeit, als Prinz Heinrich noch in Neuruppin wohnte, also vor den jroßen Brand. Olle Kamellen. Wat wollte ick sagen? Et is nämlich folgendermaßen. Bin ick in Lindow, sehne ick mir nach hier. Bin ick hier, sehne ick mir nach Lindow. Ick hab’ mir jesacht, Pommrehnke, denk an die rauhe See. Blaue Jungs und Schiff ahoi. Aber det hilft ooch nich. Ick werde meine Mützenbänder-Sammlung verschenken. Hansi, willst du sie haben?«
»Ich weiß nicht.«
»War nur ’ne Frage. Vielleicht bind’ ick se ’nem Hund an’n Schwanz, wenn ick wieder een habe. Haste jehört, det Bello tot umjefallen is?«
»Rudi hat es erzählt.«
»Also dem neuen Köter. An’n Schwanz. Oder ick lass’ ’nen Drachen damit steigen. Verdammt. Jetzt ist die Zijarre aus.«
Tante Deli rief, wir sollten essen kommen. Wenn Opa hier war, legte sie Wert darauf, daß wir alle miteinander aßen. Lydia mußte dann den Tisch im ersten Stock unter dem Kronleuchter decken. Als wir ins Haus gingen, sangen die Mädchen: »Der Herr Pastor, der aß die Frösch’ so gerne …«
Ein paar Minuten später kam Isabella. Es hatte sich eingebürgert, daß sie mit uns aß, wenn Besuch da war und auch Joachim herüberkam. Auf der Chaussee marschierte eine Militärkolonne vorüber. Wir hörten die Nagelstiefel im Takt. Eine Stimme rief: »Links, zwei, drei, vier!«
»Schneidig sind sie«, meinte mein Vater.
Opa sagte: »Aber nich so wie wir.«
Anneli saß steif in ihrem Gerüst und führte die Bissen durch die Luft zum Mund. Die Norne berichtete, sie werde in die Organisation »Glaube und Schönheit« übertreten. Dinge standen uns bevor. Wahrscheinlich würden demnächst Keulenschwingerinnen und Rhönradfahrerinnen unsere Wiese bevölkern.
Die Rede kam auf Lauras und Onkel Rudolphs bevorstehende Hochzeit. Werner meinte, ihm fiele ein reizender Vers dazu ein. Er zitierte:
»Und so harrte sie der Heirat,
doch als sie die Zeit fühlt’ nah’n,
da entschwand auf einem Zweirad
jäh der saubere Galan.«
Laura errötete. Onkel Rudo sah Werner an, als wolle er ihn zum Duell fordern. Der Meseritzer Breitarsch sagte: »Werner, geh in dich. Das ist unpassend.«
In meinem Zimmer las ich Filmzeitschriften, aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Wiederum wälzte ich einen Schwulst von Gedanken in meinem Kopf. Ob mein Entschluß richtig war, daß ich Flug-Wuttke, meine Karriere als Modellbauer, vielleicht als Segelflieger und Motorpilot im Stich gelassen hatte? Was fesselte mich an diesen fatalen Kintopp, dieses zerfallende Schützenhaus, wenn nicht die Bindung an meinen Bruder? Eine Bindung, die fast einem Hörigkeitsverhältnis glich, bestehend aus der kritiklosen Förderung von Joachims Plänen. Dem Wunsch, ihn zu begleiten auf einem Weg, an dessen Ende das von ihm herbeigesehnte Cineasten-Filmtheater stehen würde.
Wo denn? Hier in dieser Vorort-Klitsche? Und wie? Mit diesen Filmen, die uns – gerade noch – erlaubt waren? Was war überhaupt erlaubt? Ich erinnerte mich, als wir den Van-de-Velde-Film zeigten: »Wege zur guten Ehe«. Der Film war freigegeben, möglicherweise hatte er unter unerklärbar günstigen Umständen die Zensurstelle passiert. Unser Stammpublikum füllte das Kino, solche Filme schätzten sie. Am dritten Abend machten sich ein paar Lümmel, die wir nicht kannten, im Kino breit, fingen an zu johlen, Bierflaschen kullerten. Wir mußten die Saalbeleuchtung einschalten und die Vorstellung unterbrechen.
Wahrscheinlich rettete uns Isabella. Sie stellte sich in ihrer BDM-Uniform neben die Eingangstür, stumm, mehr denn je ein unbehauener Block. Aber sie schüchterte die Rabauken ein. Der Film konnte zu Ende gezeigt werden.
Einen Tag später lasen wir allerdings in der Zeitung einen Angriff auf unser Kino, der an Deutlichkeit alles übertraf, was bisher gegen uns geschrieben worden war. Van de Veldes Bücher seien, lasen wir da, bei der Bücherverbrennung dem Scheiterhaufen übergeben worden. Es könne nicht geduldet werden,
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