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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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deutete auf Robinson Krause, der in üblicher kerzengerader Haltung ihrer Rede lauschte. Tante Deli fuhr fort:
    »Von dir, Pommrehnke, will ich schweigen, du nimmst an, daß ein Husar im Sattel stirbt oder ein Budiker hinter seinen Zapfhähnen. Du hast also keine Meinung. Sage ich, du sollst kaufen, dröhnst du mir hinterher die Ohren voll, daß du die Klitsche am Hals hast. Sage ich, du sollst nicht kaufen, heißt es verpaßte Gelegenheit. Ach, ich denke an meine Tante Grete, die aus dem Leben geschieden ist, wenn es auch schrecklich war, wie sie die Wasserleiche aus der Havel gezogen haben, aufgequollen und blau im Gesicht. Die Hausschlüssel hatte sie auf den Steg gelegt. Sie war ja so ordentlich. Aber mit dem Mann, dem Säufer, ging es nicht.«
    Sie fuhr sich übers Haar, das sie zu einem Dutt mitten auf dem Kopf hochgesteckt trug. »Ich wollte sagen, Tante Grete hat es gut. Entscheidungen treffen, heutzutage. Pfuideibel. Hinzu kommt, daß man nicht weiß, ob einem die Nazis nicht alles wegnehmen.«
    Joachim warf ein: »Ich bin fürs Kaufen. Das Kino hat ein bißchen Geld. Wenn wir eine Hypothek aufnehmen …«
    »Hypothek«, rief Tante Deli. »Dein Vater hat schon eine Hypothek auf dem verflixten Mietshaus, wo früher eure Wohnung war. Meinst du, er will immerzu nichts als Zinsen zahlen? Und die Kintopp-Ruine. Ihr braucht neue Bestuhlung. Ein neues Dach. Die Projektoren sind ausgeleiert, daß es einen Hund jammern kann. Kuckt euch mal einen Film an in eurer Flohbude. Das ist Galeere, oder?«
    Unser Vater sagte: »Pommrehnke kauft.«
    Tante Deli war einen Augenblick sprachlos. Joachim grinste. Werner, der dem Komiker W. C. Fields immer ähnlicher geworden war, pfiff den Anfang von »Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln gehn …«.
    Tante Deli rief: »Pommrehnke, du hast ’nen Knall.«
    Mein Vater schüttelte den Kopf. »Es ist egal, was man tut. DasGeld wird immer weniger wert. Doch hier lebe ich, wie du sagst, als Budiker hinter den Zapfhähnen. Ich bin aber auch, obwohl es nicht so aussieht, an dem Flohkino beteiligt. Ich verkaufe das Haus in der Großgörschenstraße und kaufe das Schützenhaus. So, Reserve hat Ruh’. Ich lege mich wohl ein bißchen hin.«
    Das hatte er verdient. Walter Pommrehnkes längste Rede seit je. Er schob Tante Deli beiseite und ging die Treppe hinauf. Er ging langsam, und wir sahen, daß unser Vater alt geworden war, Hubert rief ihm nach: »Kann ich positiv berichten?« Mein Vater brummte irgend etwas, ohne den Kopf zu wenden. Wir nahmen es als Zustimmung.
    Tante Deli leckte sich den Zeigefinger, bückte sich und stoppte eine Laufmasche an ihrem Strumpf.
    Ich lief zu Anneli hinüber und erzählte ihr die Neuigkeit. Sie lachte. »Dann wohnen wir von jetzt ab in unseren eigenen vier Wänden?«
    Vor einiger Zeit waren wir aus dem großen Haus ausgezogen. Da wir nicht beabsichtigten, nach Joachims Vorbild einen zweiten Waggon im Park aufzustellen, hatten wir Polier Klobinski gewonnen. Klobinski war mit einer Maurerkolonne angerückt und hatte die verwaisten Stallungen zu einer Wohnung umgebaut. Zwar roch es immer noch ein bißchen nach Annelis Berenice und nach Gila-Monsters Ali, aber es war gemütlich bei uns. Im Wohnzimmer hing von der Decke eins meiner frühen Flugmodelle, Reminiszenz an eine große Zukunft, die ich zugunsten der Schützenhaus-Lichtspiele aufgegeben hatte.
    Unter dem Flugmodell stand ein Körbchen, in dem unsere Helga lag, ein paar Wochen alt. Die Norne kniete davor und spielte mit einem Hampelmann, bis Helga ein paar hohe, gequetschte Tone ausstieß. Es klang wie die Kinoorgel, wenn sie zu Beginn nicht genügend Luft aus dem elektrisch angetriebenen Blasebalg bekam.
    Unser Sohn Horst, der bereits stehen konnte, hielt sich mit einer Hand an dem Rand des Körbchens fest. Mit der anderen Hand deutete er, das Köpfchen schräg haltend, auf seine ausgestopfte rückwärtige Partie. »Dooah«, sagte Horst.
    Das bedeutete, er hatte die Hosen voll.
    Wenig später, als die Familie sich versammelte, um Helga zu taufen, war alles geregelt. Mein Vater hatte gemeldet: »Alles klar im Beritt! Die Sache ist über die Bühne gegangen.« Für das Haus in der Großgörschenstraße, beste Lage, wie man damals noch annahm, hatte sich sofort ein Käufer gefunden. Das Dach vom Kinosaal war neu geteert worden, und die Bestuhlung hatten wir ausgewechselt. Unser Publikum fläzte sich auf Samtfauteuils. Die neuen Projektoren sollten in einer Woche kommen.
    Tante Deli flüsterte zwar,

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