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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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wie Haare sonst sind. Ich denke einfach, das sind keine Haare. Folglich kann ich sie mir nicht aufgelöst vorstellen. Wie sind sie aufgelöst? Du scheinst dich auszukennen, Hansi. Sind sie wie ein Mop?«
    »Nein«, sagte ich. »Sie sind eher wie ein Vorhang. Wie ein dichter Vorhang.«
    Onkel Rudolph nickte. Er zündete sich eine Zigarette an.
    »Wie geht es in Lindow?« fragte ich.
    Onkel Rudolph führte mich zum Haus zurück. »Opa ist einsam«, sagte er. »Wer hätte anderes erwartet? Er hackt in seinem Garten, mit der langen Hacke, und wenn er fertig ist, fängt er von vorne an. Ob Unkraut wächst oder nicht, ist ihm Wurscht. Er hackt. Dann hat er sich ein Radio gekauft. Nicht so einen teuren Apparat wie ihr habt, mit magischem Auge und Bero-münster und allem Schnickschnack. Einen Volksempfänger. Hat siebzig Mark gekostet. Der Volksempfänger ist für alle erschwinglich, mein Junge. Der Führer will, daß alle ihn hören. Gebt mir vier Jahre Zeit. Nun. Wir haben ihm vier Jahre Zeit gegeben. Und neuerdings noch mal vier Jahre. Wieviel Zeit sollen wir ihm noch geben? frage ich mich.«
    Wir waren wieder stehengeblieben. Onkel Rudolph schleuderte seine Zigarette in die Brennesseln. »Opa klebt mit dem Ohr an diesem widerlichen schwarzen Apparat, Abend für Abend. Ohne eure Oma ist er nichts. Der Hund ist krepiert. Weißt du, daß ihm Frieda die Wirtschaft führt?«
    »Lauras Mutter?«
    »Eben die. Sozusagen meine Schwiegermutter.«
    »Wie bitte?«
    Onkel Rudolph steckte die Hände in die Taschen. »Laura und ich, wir heiraten«, sagte er. »Es hat sich so ergeben.«
    Ich fragte nicht, was das hieß: Es hat sich so ergeben. Damals mit Anneli im Forsthaus – hatte sich das auch so ergeben? Vielleicht wußte ich wirklich nichts über die Liebe.
    Wußte Onkel Rudolph mehr?
    »Rudi«, fragte ich – er hatte verlangt, daß ich Rudi zu ihm sage –, »liebst du Laura?«
    Onkel Rudolph lachte. »Natürlich, du Döskopp. Was meinst du, weswegen ich sie heirate?«
    Ich unterdrückte die Frage, ob Laura ihn liebe. Und ertappte mich dabei, daß ich über das Thema Liebe neuerdings nachdachte. Hatte ich geliebt? Hatte ich Lydia geliebt, damals am Teich? Hatte ich jene Mädchen geliebt, die ich durch meine Arbeit bei Flug-Wuttke kennengelernt hatte und mit denen ich umhergezogen war, für kürzere oder längere Zeit? Für Monate, Wochen oder nur Tage? Worum ging es mir auf einmal? Zu Anneli hatte ich gesagt: Ich liebe dich.
    Die Mädchen sangen: »Kommt ein Adler an, kommt ein Adler an, hat sie allesamt verschlungen …«
    »Wie geht es deiner Lunge?« fragte ich.
    »Besser«, sagte Onkel Rudolph. »Eigentlich alles verheilt. Aber natürlich ist fast die Hälfte hin.«
    Ich weiß nicht, ob das medizinisch möglich war: verheilt, aber die Hälfte hin. Onkel Rudolph sah das so, für ihn galt dieser Befund. Ein Befund, der ihn leben ließ und ihn zugleich bewahrte vor den Nachstellungen des Wehrersatzamtes. Auf Altgediente waren sie scharf, als Unteroffiziere für die neue deutsche Wehrmacht.
    Onkel Rudolph berichtete weiter von Lindow. Seinem Kameraden Bruno gehe es nicht gut, der sei in der Lungenheilanstalt. »Beeskow-Storkow. Ich fahre ihn besuchen.«
    Opa kam aus dem Haus. Seine Haare waren immer noch dunkel, ein paar Sardellen hatte er sich über die Platte gekämmt, die, im Gegensatz zu seinem braungebrannten Gesicht, helldurchschimmerte. Wie damals die Glatze des einen Sargträgers, als er die Mütze abnahm.
    »Schön singen se«, meinte Opa, auf die Mädelschar deutend. »Wie wir sind jung jewesen, haben wir viel jesungen. Denn kam dat Radio, und denn war’t aus. Bloß die Wandervögel mit ihren Klampfen, die haben jesungen. Aber jetzt singen se alle wieder. Wat wir ham jesungen? ›Ännchen von Tharau‹ und ›Am Brunnen vor dem Tore‹. Det war modern. Rudi, mach mich man die Bauchbinde von die olle Zijarre, ick hab’ det nich jerne. So. Bei’n ollen Prinz Karl, der wo uff de Düppler Schanzen jesiecht hat, da hamse die Zijarrenabschnitte jesammelt for jroßtätige Zwecke oder wie det hieß. Mein Jroßvater hat mir det erzählt, er war in’t Schloß zu Berlin, se haben ihm einen jrößeren Orden verabreicht. Da hat Prinz Karl Zij arren anjeboten, aber selber abjeschnitten, wegen die Wohltätichkeit. Der hat selber zehn Pfund Orden jehabt. Hat er rumjezeicht. In ’ne Schatulle.«
    »Na, na«, sagte Onkel Rudolph.
    »So wahr ick hier stehe«, bekräftigte Großvater. »Nu is det von meine Zijarre uff die Erde

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