Das Schützenhaus
den Hutrand montiert. Von ihrer Hochzeit wurde immer noch geredet, auch als wir zu Helgas Taufe beisammensaßen, denn Onkel Rudolph und Laura hatten uns hoch über den Dächern von Berlin bewirtet: im Funkturm-Restaurant.
Der Braten wurde aufgetragen, wunderbar dekoriert mit Ananasscheiben und halbierten Apfelsinen. Der Anblick entlockte der Tischgesellschaft ein langgezogenes »Aaah«, und Großvater sagte, so was bekäme nicht einmal ein Admiral auf einem Panzerschiff zu Gesicht. Die Bestecke klapperten.
Bevor das Dessert aufgetragen wurde, Fürst-Pückler-Bombestand auf der gedruckten Menükarte, erhob sich Werner und sagte, er wolle eine Rede halten.
»Eine Rede«, sagte er, »die, wir alle möchten es ihm verzeihen, an den Täufling gerichtet ist, ausschließlich an den Täufling.«
Der Täufling schlummerte, aber das hielt Werner nicht ab, er schneuzte seine rote W.-C.-Fields-Nase in ein noch röteres Taschentuch und hub an:
»Liebe Helga Kitty Laura, es ist ein schöner Anlaß, der uns zusammenführt. Du bist aufgenommen in die christliche Gemeinschaft, was heutzutage nur von Vorteil sein kann, nachdem hinkende Teufel sogar in den Ministerien sitzen.«
Er meinte einen einzigen, den im Propagandaministerium, aber wir ließen Werner den Plural durchgehen, vielleicht gab es wirklich noch andere, von denen wir nichts wußten oder die ihren Hinkefuß verbargen.
Werner fuhr fort: »Nachdem wir solchermaßen alles getan haben, um dir den weiteren Lebensweg zu ebnen, lassen wir unsere Phantasie spielen und überlegen uns, was alles aus dir werden kann. Deine Mutter, aufstrebende Turnierreiterin, wenn auch, ich darf das sagen, durch reichliches Privatleben aus der Bahn – sozusagen der Reitbahn – geworfen, hat dir vielleicht einen Pferdeverstand mitgegeben. Ist es, wir fragen es uns, kleine Helga, ist es denkbar, daß dereinst das Rampenlicht auf dich fällt, während du im Damensattel auf stolzem Lipizzanerhengst in die Manege trabst, vom Volke bejubelt? Parbleu, das macht ’ne trockene Kehle.«
Werner unterbrach sich und stürzte, von den am Nebentisch sitzenden Kindern bestaunt, eine Halbe in einem Zug hinunter, so daß Robinson Krause schon aufspringen wollte, ein neues Bier holen. Er hätte es getan, wenn Lydia – unsere Lydia – Krause nicht festgehalten und ihm mit dem Finger gedroht hätte.
»Wir haben jedoch auch«, setzte Werner seine Rede fort, »mit einem Vater zu rechnen, dessen Erbanlagen teils in die Lüfte, teils ins angenehme Dunkel eines Kinosaals weisen. Waswird nun daraus hervorgehen? Ein Spiel, liebe Freunde, ein Spiel. Do X, das größte Flugboot der Welt, hat seinen Flug um die Erde absolviert. Ist es abwegig, wenn wir annehmen, daß dereinst den Luftreisenden an Bord solcher Riesenflugzeuge Filme vorgeführt werden? Vielleicht von hübschen Operatorinnen, deren eine unsere Helga ist?
Gewagt? Oh, sagt das nicht, meine Freunde. Haben wir nicht jüngst auf der Funkausstellung die erste Vorführung des technisch voll entwickelten Fernsehens erlebt? Die Bildübertragung mittels der Braunschen Röhre? Auf unsichtbaren Strahlen durch die Lüfte wird das Bild übertragen. Ist es nicht denkbar, daß es das Bild unserer Helga ist, die als Ansagerin die nächste Sendung ankündigt?
Schön für das Kind, werdet ihr sagen, ich hoffe es. Gleichzeitig, ich merke es mit Beschämung, habe ich nun selbst einen Teufel zugelassen, ihn an die Wand gemalt. Denn die Frage stellt sich: Wird denn das Fernsehen das Ende des Kinos bedeuten? Damit das Ende unserer manchmal schwierigen, dennoch heiteren Unternehmung, die wir Schützenhaus-Lichtspiele genannt haben?
Freunde! Ich glaube, nein. Denn was Ausdauer und Einfälle betrifft, so verfügt unser Täufling über einen genialen Onkel, dem die Erfahrung beschert sein wird: Das Fernsehen ist für die Massen, das Millionenpublikum. Muß es sein, ein Verwandter des Radios. Das Kunstkino, das unser Freund Joachim jedoch anstrebt, ich darf sagen mit unser aller Ermutigung, das Kunstkino wird überleben.
So dürfen wir unseren spielerischen Vermutungen eine neue hinzufügen: Wäre es vielleicht abwegig, wenn wir in Helga und ihrem tüchtigen Bruder Horst – der sich bereits unter dem Tisch an jenes Zwielicht gewöhnt, das gleichermaßen im Kinosaale herrscht –, wenn wir in diesen beiden würdige Nachfolger für unsere Lichtspielkunst-Hallen sähen?«
Klatschen unterbrach Werner. Er hob die Hände, den Beifall abwehrend, und wandte sich Kitty und Laura zu,
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