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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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begleiteten die Norne aufs Standesamt. Auf dem Tisch lag ein Stahlhelm. Tante Deli hatte für Isabella das Kleid umarbeiten lassen, das sie zu ihrer Hochzeit mit Vater getragen hatte. Für die Norne mußten sie an den Seiten Streifen einsetzen.
    Sie bekam einen Jungen, fast neun Pfund schwer. Isabellas und Joachims Sproß wurde Stefan getauft, das war damals das Allermodernste.

19
    Ich habe jene Ereignisse geschildert, als sei es mir gelungen, der Einberufung zu entgehen. Möglicherweise wäre das noch bis ins Jahr 1940 der Fall gewesen, ich gehörte »den Jahrgängen dazwischen« an. Doch ich verließ mich nicht auf die Unzuverlässigkeit oder auf den Schlendrian der Behörde.
    Abends versammelten wir uns in der Gaststube und besprachen unsere Zukunft. Ließen zu, daß Lydia uns Briefe von Hannemann vorlas, er gehörte zur Bewachungsmannschaft eines Lagers in Polen. Viel schrieb er nicht darüber, was er dort tat. Erst nach dem Krieg erfuhren wir es.
    Anneli riet mir, mich freiwillig zu melden. »Du kannst dir wenigstens die Waffengattung aussuchen«, meinte sie. Anneli wußte, daß mein Interesse für die Fliegerei immer noch stark war, sie sah, daß ich alle Nachrichten, die mit der Luftwaffe zu tun hatten, am aufmerksamsten verfolgte.
    »Ich würde es verstehen, wenn du dich zur Luftwaffe meldest«, sagte sie.
    Fliegen. Nun endlich Pilot werden? War das noch möglich? Ich zögerte. Aber jeder Tag, der verging, konnte mein Schicksal besiegeln. Wo würden sie mich hinstecken? Bestimmt zur Infanterie.
    Ich meldete mich. Es dauerte eine Weile, bis sie meinen Wehrpaß fanden. Dann wurde ich zur Musterung bestellt: eingezogen zur Luftwaffe. Vorgesehen für Pilotenausbildung. Die Ärzte bescheinigten mir Gesundheit. Dann saß ich dem Arzt gegenüber, der die Sehprüfung vornahm. Er trug keinen weißen Kittel über der Uniform. Über den Tisch hinweg schob er mir jene aus Punkten bestehenden Stillingschen Tafeln zu, aus deren Muster man Zahlen und Buchstaben herauslesen muß. Es gelang mir vortrefflich. Bis ich an eine Tafel kam, auf der die Punkte vor meinen Augen verschwammen.
    »Zweiundsiebzig?« fragte ich. Ich glaubte, die Zahl zweiundsiebzig herauszulesen.
    »Versuchen Sie es noch einmal«, sagte der Arzt. Er wechselte die Tafeln aus, es ging eine Weile gut. Dann schob er mir wieder die vertrackte Tafel mit den tanzenden Punkten hin.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nichts?« fragte der Arzt.
    »Ich glaube…«, sagte ich, »nein. Ich erkenne nichts.«
    Der Arzt klappte die Tafel zu. »Sehschwäche für rot und grün«, konstatierte er. »Kein Zweifel. Es tut mir leid. Die Signalisierungen sind rot und grün. Sie können nicht Pilot werden.«
    Mit welchen Worten soll ich meine Empfindungen in jenem Augenblick schildern? Natürlich stürzte keine Welt für mich ein. Aber das bißchen Hoffnung, das ich mit mir gebracht hatte, schwand dahin. Es schwand dahin wie die Staubwolke, die über dem Turnierplatz gelegen hatte, als Anneli auf dem Siegerpodest stand.
    »Keine Möglichkeit?« fragte ich.
    »Keine«, sagte der Arzt.
    Ich wollte aufstehen, aber er bedeutete mir, sitzenzubleiben. »Wir haben in solchen Fällen die Möglichkeit, Freiwillige für das Bodenpersonal zu empfehlen«, sagte er. »Bei der Luftwaffe geht man davon aus, daß man Männer, die sich für das Fliegen interessieren, auf jeden Fall bei dieser Waffengattung verwenden sollte.« Er blickte mich lange an diesmal: »Ist Ihnen das recht?«
    Ich nickte.
    »Alles klar?« fragte Anneli, als ich nach Hause kam. Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen. »Bodenpersonal«, stöhnte ich.
    Anneli lachte. Sie lachte, bis ihr die Tränen kamen. »Entschuldige«, sagte sie, »das ist nicht nett von mir. Eben dachten wir noch, wie dir eines Tages das Ritterkreuz zur Pilotenjacke herausbaumelt. Nein, nein. Es ist grotesk.« Sie kam um den Tisch herum und umarmte mich. »Entschuldige«, wiederholte sie. »Ich bin so ein Typ, der auf Beerdigungen lacht. Ich kann nichts dafür. Aber: Ich bin ein Weibchen, wenn auch Sieger in Reit- und Fahrturnieren. Das Weibchen in mir ist glücklich.Hansi! Leute vom Bodenpersonal können nicht vom Himmel fallen!«
    Ich grinste. Wußte, daß ihr Instinkt wieder einmal das Richtige getroffen hatte. Dennoch. Wie sangen sie so schön?
    »Ein Flieger hat den Bogen raus,
er geht nicht ohne Mädchen aus.
Er braucht nicht an der Erde kleben.
Wer Flieger ist, hat mehr vom Leben …«
    Damit war es Essig. Wieso war ich, ausgerechnet ich, rot- und

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