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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Der Spargel war jetzt, um diese Jahreszeit, grün ausgeschossen. Was ich aus der Ferne für etwas höhere Spargelfelder gehalten hatte, entpuppte sich als Nissenhütten. Das Wellblech war mit Tarnfarbe gestrichen. Ein neuer Wegweiser, wiederum mit dem taktischen Zeichen, zusätzlich mit der Aufschrift »Fliegerhorst Heidekrug«, wies nach links.
    Wir bogen ein. Das Motorrad hielt vor einer der Hütten, über deren Tür ein Schild »Schreibstube« genagelt war. Aus deroffenen Tür drang eine Stimme. Ein Mann sang ein Lied. »Grün ist die Heide – die Heide ist grün. Aber rot sind die Rosen – wenn sie verblüh’n …«
    Ich wartete, bis der Gesang verstummte. Dann trat ich ein, mit mir drückte sich der Kradmelder durch die Tür. Einen Augenblick mußte ich mich an das Zwielicht im Inneren der Nissenhütte gewöhnen. Dann unterschied ich einen Mann in Luftwaffenuniform, mit Wachtmeisterschulterklappen auf der Jacke. Er hatte die Beine auf dem Tisch liegen und machte keine Anstalten, sie herunterzunehmen. Der Kradmelder stellte einen Sack mit Post ab, oder was immer der Beutel enthalten mochte, den er hierhergekarrt hatte. Ich nahm Haltung an und streckte dem Wachtmeister meine Papiere hin.
    Er musterte mich, über die Stiefelspitzen hinweg. »Ein Mensch«, sagte er. »Ein richtiger Mensch. Sie sind der vierte. Glotzen Sie nicht so dämlich, Mann. Ein Wachtmeister, zwei Gefreite und nun Sie Würstchen. Das ist der ganze Fliegerhorst Heidekrug. Und ein paar leere Baracken. Scheißegal. Jeder hat mal klein angefangen.«
    »Ja«, sagte ich. Der Kradmelder verschwand, und der Wachtmeister nahm seine Stiefel vom Tisch. »Wie meinen?«
    »Jahwoll«, sagte ich, ein wenig militärischer.
    »Zu Befehl heißt das, Sie Würstchen«, brüllte der Wachtmeister. »Denken Sie, wir warten auf Sie, damit wir Bienen züchten?«
    Die Rede hatte ihn erschöpft. Er winkte mir, die Schreibstube zu verlassen. Ich beglückte ihn mit einer zackigen Kehrtwendung.
    Wieso berichte ich lang und breit diese Episode meines Lebens? Denn eine Episode war und blieb mein Ausflug – oder meine Rückkehr – in die Welt des Flugwesens, trotz sogenannter hehrer Zeit. Mit Überraschung entdecke ich, spät nun, zweierlei. Erstens, daß gewaltige geschichtliche Abläufe nicht nur Helden erschaffen, sondern gleichzeitig Tausende, wenn nicht Millionen Menschen in Nischen hineinwehen, die ihnen, gemessen am allgemeinen Geschehen, Überlebenschancenbieten. Andere mögen das vor mir festgestellt und formuliert haben, es ist mir entgangen, erst jetzt fällt es mir auf.
    Zweitens, und diese Erfahrung ist noch persönlicherer Art, fühlte ich mich getrennt von Joachim, von unserem Schützenhaus-Dasein. Auf einmal war ich allein. Viel mehr alleine als damals bei Flug-Wuttke, wo ich eine Karriere aus eigenem Entschluß einzuschlagen meinte.
    Zudem fehlte mir Anneli. Ich tappte in dieser Wüste von Spargelbeeten umher, wert, daß alle, aber auch alle mich beneideten, und fühlte mich dennoch unglücklich wie nie zuvor.
    Der Fliegerhorst füllte sich. Andere, abkommandiert wie ich, trafen ein. Mit den beiden Gefreiten, die vor mir gekommen waren, und ein paar weiteren Früheintreffenden bewohnte ich eine Nissenhütte. Wir nannten sie »Trautes Heim der ersten Stunde«. Das Reichsluftfahrtministerium stellte Arados zur Verfügung und Heinkel-HD-32-Doppeldecker, darunter zwei mit Hauben über dem Flugschüler-Cockpit, zur Blindflugschulung.
    Denn um Schulung angehender Jagdflieger handelte es sich. Nachwuchs wurde bei uns, auf diesem entlegenen Flugfeld, ausgebildet. Später traf ich immer wieder »Heidekrugler«, die bei uns fliegen gelernt hatten. Fluglehrer trafen ein, mit einem Fieseier Storch landete Major Schwarzbach, der Leiter des Fliegerhorstes, solange die Sache dauerte. Wir nannten ihn »Major Landeklappe«, seiner abstehenden Rockschöße wegen. Er flog stets in voller Uniform, nie trug er eine Lederjacke.
    Anders die Fluglehrer. Sie kamen aus allen Teilen Deutschlands, einige hatten sich an der Front bewährt, waren wegen Verwundungen zum Dienst auf diesem Fliegerhorst abkommandiert, der nur einer war in einer Kette von versteckten Plätzen. Der Feind sollte uns nicht finden.
    Wir schoben Dienst, betankten die Maschinen, warteten Motoren. Bei Flugwetter kamen wir vierzehn oder sechzehn Stunden nicht aus dem Drillich. Die Fluglehrer bildeten eine Clique, sie wohnten zusammen, wir hatten wenig mit ihnen zu tun. Einige fuhren Motorräder oder Sportwagen mit

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