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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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blickte, sah ich einen Menschen mit kurzem Haarschnitt, um den Kopf herum lief ein weißer Streifen. Das Gesicht erschien mir grün, aber ich war ja farbschwach, vielleicht war es braungebrannt. Unter dem dünnen Hals saß ein Hemdkragen schlaff und schief, die Kragenecken durchgescheuert.
    Unser Kino spielte »Geierwally« mit Heidemarie Hatheyer, auf dem Kassenhäuschen hockte ein ausgestopfter Vogel. Genaugenommen handelte es sich um einen Habicht, aber so genau nahm es wohl niemand. Alles war inzwischen Ersatz. Warum sollten wir keinen Ersatzgeier haben? Es handelte sich um eine Leihgabe aus dem Forsthaus.
    Im Schützenhaus saß Margot, das Mädchen aus Meseritz, die Beine breit, Ellbogen auf die Schenkel gestützt, den Kopf in ihre Hände vergraben.
    Werners Freundin heulte. Werner war verschwunden. Von einem Tag auf den anderen.
    »Abgeholt?« fragte ich.
    »Nicht direkt. Zwei Offiziere waren hier, später sagte Werner, von der Abwehr, ich solle es niemandem sagen. Er fuhr in die Stadt. Dann rief er an, er käme nicht wieder, ich solle mir keine Gedanken machen. Alles in Butter, hat er gesagt. Ich weiß nicht, sollte das ein Witz sein? Wo es Butter kaum mehr gibt.«
    Sie schneuzte sich in eine Serviette, die Robinson Krause ihr hinhielt. »Vielleicht arbeitet er für die Abwehr?«
    »Du kannst hierbleiben und Kintoppkarten verkaufen«, schlug Tante Deli vor.
    Das Mädchen aus Meseritz wollte nicht. »Ich bin dienstverpflichtet«, sagte sie.
    Die Frauen drückten mir Säge, Hammer und eine Handvoll rostiger Nägel in die Hand. Hinten an den Saal hatten wir einen Schuppen angebaut. Ich sollte eine Tür basteln. Und die Tür verschließbar machen. »Die Menschen klauen alles«, sagte Tante Deli.
    In dem Schuppen stand Sternchen Siegels Hanomag aufgebockt. Von der Decke hing das Rennrad. Ein Sternchen-Museum, sein gesamter Nachlaß. Wie es unserem früheren Partner gehen mochte? Zu Anfang waren ein paar Postkarten gekommen, aus der Schweiz. Winterthur aus der Vogelschau. Zürich, Bahnhofstraße. Vierwaldstätter See. Die Rigi-Bahn.
    Leberecht Lehmann hatte Sternchen einmal getroffen, eine Auslandsreise hatte ihn in die Schweiz geführt. Längst war auch L.-L. fort. Wo steckte er? Lebte er überhaupt noch? Lebte Sternchen Siegel? Aus der Schweiz, wußten wir, wurden viele ausgewiesen.
    Ich hängte ein dickes Schloß vor die neugebaute Tür.
    Ein paar Tage später händigten sie mir auf der Kommandantur einen neuen Marschbefehl aus. Eine der Bahnlinien führte nicht weit vom Schützenhaus aus Berlin heraus. Mit mir geschah eines jener Wunder, von denen jeder berichten kann, der diese Zeit erlebt hat. Nach knapp zwei Stunden Bahnfahrt war ich an dem Ort angelangt, der in meinem Marschbefehl eingetragen war, der Zug hielt an einer Behelfsstation mit dem eilig auf ein Schild gepinselten Namen: »Heidekrug«. Ein Krug befandsich weit und breit nicht, es gab überhaupt kein Haus, nur Kiefernschonungen, in die ein Sandweg führte, und bei den Schienen eine Baracke.
    In der Baracke tat ein Stationsvorsteher mit roter Mütze Dienst, was mich erstaunte. Außerdem taten dort ein paar Kettenhunde Dienst. Feldgendarmerie. Mißtrauisch musterten sie meine Papiere. Der eine befahl mir, einem Wegweiser zu folgen, der vor der Baracke stand und in die allgemeine Richtung der Kiefernschonungen wies. Auf dem Wegweiser war ein taktisches Zeichen aufgemalt, das ein wenig Wuttke Juniors Abzeichen für die C-Prüfung glich: drei Schwingen untereinander im Kreis. »Vier Kilometer«, sagte der Kettenhund. »Am Ende dieses Weges erwartet dich ein wunderschöner Fliegerhorst.«
    Ich nahm mein Gepäck auf und bog in den Sandweg ein. Es roch nach Pilzen. Nichts deutete darauf hin, daß ich mich in der Nähe eines Flugplatzes befand, kein Flugzeug tauchte über den Baumwipfeln auf, kein Motorengeräusch war zu hören.
    Mein Gehirn schaltete auf die niedrigstmögliche Intelligenzstufe. Stumpfsinn-Verse fielen mir ein: »Klotz, Klotz, Klotz am Bein, Klavier vorm Bauch, wie lang ist die Chaussee? Links ’ne Pappel, rechts ’ne Pappel, in der Mitte ’n Pferdeappel.«
    Als ich das zweihundertmal vor mich hin gesagt hatte, hörte ich ein Motorrad. Ein Melder auf einer Beiwagenmaschine hielt neben mir. Zeigte auf den leeren Beiwagen. Ich kletterte hinein. Legte meinen Rucksack auf die Knie. Stahlhelm und Gasmaskenbüchse störten. Doch war das besser, als in der Hitze weiterzuklotzen.
    Der Wald öffnete sich, durch Spargelplantagen führte der Weg.

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