Das Schützenhaus
unsere Verwandten. Und ich weiß, wir sind willkommen.«
Wir erstarrten in unseren Bewegungen. Joachim hielt die Tasse in halber Höhe. Ich hörte auf zu kauen. Das war die Revolution.
Mein Vater brummte: »Kannste nicht machen. Niemand für die Küche.« Er schnitt sich Brot und Wurst in mundgerechte Häppchen. Starrte auf seinen Teller. Tante Deli sagte erst einmal nichts, ließ ihn weiterbrummen. Wir hörten Worte wie »Verrat« und »in den Rücken fallen«.
Tante Deli sagte immer noch nichts. Es wurde spannend.
Da sprang mein Vater auf. »Zum Teufel«, schrie er, »wer ist hier der Herr im Haus?«
»Wir haben keinen«, sagte Tante Deli ruhig. »Derjenige, der Herr im Haus sein sollte, läuft einer Schickse nach. Einer trokkenen Schrippe aus Potsdam, deren Vater zufällig Husar ist. Der Herr im Haus vernachlässigt seine Aufgaben. Der Herr im Haus zapft ein paar Biere, besäuft sich mit diesem Bierfahrer, diesem Hubert, und denkt, daß die Welt von Husaren kommandiert wird. Der Herr im Haus läßt seine Kinder von der Schule weglaufen, er kümmert sich nicht um sie. Der Herr im Haus hat nie mit einem Lehrer gesprochen. Seine Kinder benehmen sich, als seien sie in einem Bordell aufgewachsen. Ja, in einem Puff!«
Beim letzten Wort überschlug sich Tante Delis Stimme. Vaters Kopf war dunkelrot. Er warf das Messer auf den Tisch. »Genug!« brüllte er. »Aus meinem Haus! Ich will, daß die verdammte Metze verschwindet. Ich will, daß du verschwindest, samt deiner Brut!« Er warf seinen Stuhl um und stampfte aus dem Zimmer.
»Da haben wir den Salat«, sagte ich.
Zu meinem Erstaunen begann Tante Deli zu lachen. Zuerstzuckten ihre Mundwinkel, ein bißchen Spucke lief heraus, dann lachte sie laut. Sie lachte, wie sie niemals gelacht hatte in all den Jahren. Als sei ihr jetzt, in diesem Augenblick, das Amüsanteste in ihrem Leben widerfahren. Anneli fing auch an zu lachen, zaghaft erst, dann prustete sie los. Es war ansteckend. Am Ende lachte auch Joachim, lachte ich, wir gackerten, hielten uns die Bäuche.
Trotz der gewaltigen Drohung ahnten wir, daß dies die letzte Husarenattacke gewesen war, Lanze eingelegt und den Säbel geschwungen. Mein Vater blieb unsichtbar, er zog sich in die Festung seiner Federbetten zurück, wo ihm niemand Gesellschaft leistete, nicht einmal mehr der Hund, dessen braune Nase viele Jahre lang unter dem Bett hervorgeblitzt hatte.
Mein Vater ritt nicht mehr aus. Dieser Rückzug in die Bettenburg war Gila-Monster gegenüber ein Fehler. Wahrscheinlich erkannte die Amazone die Brüchigkeit ihrer Beziehung. Sie konnte sich zusammenreimen, was geschehen war, als sie eines Morgens Zeugin von Tante Delis und Annelis Abreise wurde, Mutter und Tochter stiegen in Ede Kaisers Privatwagen. Herr Pommrehnke blieb unsichtbar.
Das sagte alles. Gila-Monster erkannte: Dies bedeutete nicht freie Bahn, sondern es war der Anfang vom Ende. Sollte sie sich etwa die Ärmel aufkrempeln und die Küche im Schützenhaus übernehmen? Sollte sie sich, indem sie sich dort einquartierte, dem Spott dieser halberwachsenen Lümmel, Pommrehnkes Söhnen, aussetzen?
Was sie über uns dachte, ließ sich erraten. Der Älteste war Kintopp-meschugge, lebte, bleich wie ein Engerling, in verdunkelten Räumen, auf dieses niemals endende Geflimmer starrend. Der andere, Hansi, schleppte sich durch die Gymnasiumsklassen, bastelte an Flugzeugen, die beim ersten Flug zerschellten, zeigte sonst keine besonderen Interessen, wirkte blutleer und verschüchtert.
Dazu dieser spillerige Sternchen Siegel, der klavierklimpernde Alkoholiker Werner. Leute, das ahnte Gila, die man nicht von einem Tag auf den anderen loswurde.
Gila-Monster galoppierte allein in den Wald. Sie saß gekrümmt auf dem Wallach.
Es kam soweit, daß Sternchen die Stute an der Longe bewegen mußte. Eichelkraut regte sich auf, was wir mit »seinem« Pferd machten. Er schlug vor, daß jemand den Arsch mit Ohren nach oben transportierte und ihn meinem Vater überreichte. Aber niemand traute sich.
Natürlich brach die Gastronomie wenige Tage nach Tante Delis Abreise zusammen. Lydia schaffte die Küche nicht. Wiederum bewährte sich ein Regimentskamerad. Papa Warnicke schickte seine Stütze, das Mädchen mit dem vielen Metall im Mund. »Für ein paar Tage«, meinte er.
Die Stütze blieb Wochen. Wir gewöhnten uns an das Blitzen ihres Maschinenmundes, ein heiteres Spiel des Lichts. Daß sie ebenfalls auf den Namen Lydia hörte, komplizierte unser Leben ein bißchen. Rief
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