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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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andereUfer. Dann wateten wir durchs flache Wasser an Land. Die Entengrütze hing an uns runter, wir sahen aus wie Nöcke aus dem Stummfilm.
    Es gab eine Stelle mit weichem Moos. Lydia ließ sich auf den Rücken fallen, und ich stürzte zwischen ihre Schenkel. Gegenseitig wischten wir uns die Entengrütze aus dem Gesicht. Ich preßte mich an Lydias Brüste und an ihren runden, festen Bauch. Sie war heiß und kalt zugleich.
    Durch die Entengrütze und den klaren Teil des Tümpels schwammen wir zurück zu der Uferstelle, wo wir unsere Kleider und die Fahrräder gelassen hatten. Lange lagen wir nebeneinander auf dem Badetuch in der Sonne. Es war einer jener Sommertage, wie sie zwischen Spree und Havel häufig sind, mit diffusem, fast nördlichem Licht, mein Vater sagte dazu Skandinavienlicht. Die Sonne bewegt sich scheinbar nicht weiter.
    Wir rückten dicht aneinander, und ein einziger Gedanke erfüllte mich: Jetzt gehörte ich zu denen, die wissen. Nichts war mehr Geheimnis, ich verstand nicht, wieso es je ein Geheimnis gewesen war.
    Wir wiederholten diesen Ausflug nicht und setzten auch die Wissen -Spiele, wie ich es bei mir nannte, nicht fort. Sie sagte nie etwas darüber, sie sagte ohnehin selten etwas, und ich hielt genauso meinen Mund. Trotzdem verband uns dieses gemeinsame Erlebnis. Manchmal lächelten wir einander zu.
    Schließlich kam Mariechen. Ihr brauner Körper mit den festen, etwas klein geratenen Gliedern wurde mir vertraut. Welch ein Gegensatz zu Lydias weißer Üppigkeit. Stimmte es denn, daß Männer sich auf einen Typ festlegten? Ich wollte das mit meinem Bruder besprechen, er schien eine Neigung zu höheren Töchtern mit Kranzzöpfen zu haben. Doch ich vergaß es.
    Es dauerte lange, bis Mariechen und ich miteinander schliefen. Nach Art des Schützenhauses geschah es dann in der Vorführkabine, dort stand ein altes Sofa, von Joachim Turnierwiese genannt. Ein prosaischer Ort, gemessen an den romantischen Gefühlen, die in meinem Herzen tobten.
    Auch in Mariechens Herz? Ich weiß es nicht. Die TöchterGroß-Berlins neigen in Gefühlsdingen zu Nüchternheit. Vielleicht gehörte meine bronzene Nymphe in die Kategorie der Mädchen »zum Pferdestehlen«. Mangels Erfahrungen konnte ich das damals nicht beurteilen.
    Monate des Versteckspielens begannen. Die Erwachsenen durften nichts merken, damals war das unsere Überzeugung. Hinzu kam, daß sich Rowdies aus der Stadt und aus der Laubenkolonie auf die Spuren Verliebter setzten. Sie tauchten an den unmöglichsten Stellen auf. Es knackte im Gebüsch, auf schmalem Pfad radelten sie, eine Gruppe, auf uns zu, wir wichen in die Brennesseln aus, Hohngelächter dröhnte in unseren Ohren.
    Dann die Trennungen. In den Ferien fuhr ich an den Gudelacksee zu den Großeltern, ein Träumer, der mit wehem Herzen auf dem Bootssteg saß und goldenen Sonnenuntergängen zusah, bis die Mücken über mich herfielen. »Er ist verliebt«, sagte Opa in einem bestimmten Ton. Neu war mir, daß man über Gefühle spottete. Mariechen blieb bei ihren Portierseltern, ich wußte nicht, was sie in den Ferien machte, fragte auch nicht. Wahrscheinlich verbrachten Kutschkes ihre Sommersonntage am Strandbad Wannsee. Das Strandbad wurde jetzt fein, mit neuen Kabinengebäuden und Promenaden. Ich stellte mir vor, wie die Stenze hinter Mariechen herpfiffen, und litt.
    Nach etlichen Trennungen erstarb unsere Liebe. Ein paarmal noch fielen wir auf das Sofa in der Vorführkabine, aber es war nicht mehr dasselbe. Schließlich kam Mariechen nicht mehr ins Schützenhaus.
    Lydia, unsere Lydia, nicht jene, die uns Papa Warnicke geborgt hatte, führte im Schützenhaus das Radio-Zeitalter ein. In der Frühzeit dieser Erfindung zeigten uns Leberecht Lehmann und Kitty ein Empfangsgerät, das Lehmann erworben hatte, für vierhundert Mark, wie er stolz sagte. Eine Unsumme Geld. Das Gerät bestand aus einem Kasten mit Spulen aus grünem Drahtgeflecht und Röhren obendrauf, eine Röhre, aus mattem Glas, lief in einer Spitze aus wie eine Pickelhaube. Ein zweiter, größerer Kasten mit Stoff vor dem Schalloch barg den Lautsprecher.Dann gab es einen dritten offenen Kasten mit einem Traggurt, in dem die Batterie lag. L.-L. erklärte, sie müsse jede Woche aufgeladen werden. Diese drei Teile stöpselte Lehmann mit Drähten und Bananensteckern zusammen. Er lief in den Stall, schleppte die Leiter herbei, hängte einen zwanzig Meter langen Draht vor dem Haus in den Bäumen auf. Dies sei, sagte er, die Antenne, notwendig

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