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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Regen.
Mark ließ nicht locker: »Was hat er Ihrer Meinung nach im Wald gesucht?«
Der Mann ließ das Gefäß mit dem Totenkopfschwärmer unter seinem Regenumhang verschwinden.
»Weiß ich nicht. Sicher ein bestimmtes Insekt, eine Rarität.«
»Hat er nie mit Ihnen darüber gesprochen?«
»Nein.«
»Haben Sie wirklich keine Ahnung?«
»Einmal dachte ich, er interessiert sich für bestimmte Tagfalter, deren Raupen sich von Bambus ernähren.« »Warum?«
»Weil ich ihn mehrmals bei diesen Bäumen überrascht habe. Aber er suchte was anderes. Was, habe ich nie erfahren.«
»Wie war er denn so? Ich meine im Allgemeinen?«
»Nett«, sagte der Jäger, ohne zu zögern. »Wir haben manchmal frühmorgens im Hotel einen Absacker miteinander getrunken. Er sagte, er braucht kein Licht, um den Wald zu ›sehen‹. Er sagte, er hält einfach den Atem an, sobald er sich seiner Beute nähert. Bisschen komisch war er schon … Aber cool, wirklich.«
Er hielt inne und schien nachzudenken. »Stimmt es, was in den Zeitungen steht?«
Mark antwortete nicht – die Insektenschwärme machten ihn nervös, und er musste an sich halten, um nicht Hals über Kopf davonzulaufen.
Der Mann fuhr fort, als interessierte er sich ohnehin nur für sein Fach: »Meiner Meinung nach war das ein Bluff: Er tat nur so, als jagte er Schmetterlinge. Aber er sammelte nicht selber.«
»Wer denn sonst?«
»Die Orang-Asli. Die sind echte Experten auf dem Gebiet. Er zeigte ihnen, welche Arten er wollte, und sie besorgten sie ihm.«
»Kann man mit ihnen reden?«
»Nein, sie können kein Englisch. Außerdem sind die meisten von früh bis spät besoffen. Und wie wollen Sie je rausfinden, wer genau für Reverdi gearbeitet hat …«
»Gibt es denn niemanden, der mir weiterhelfen könnte?«
Der Jäger hatte im Gewusel auf der Leinwand eine weitere Sphinx erspäht.
»Gehen Sie zu Wong-Fat. Das ist einer der chinesischen Händler.«
Mark fuchtelte umsonst mit den Armen. Schwarzes Schneegestöber umwirbelte seinen Kopf.
»Bei denen war ich heute schon.« Er hatte das Gefühl, ein Insekt verschluckt zu haben, und spie aus. »Keiner hat Reverdi gekannt.«
» Dieser kannte ihn wohl. Er kennt jeden. Und macht mit allen Geschäfte. Er wohnt ganz oben in Tanah Rata, in einer Riesenvilla auf Pfählen. Die können Sie unmöglich übersehen.«
Mark spürte die Ungeduld des Schmetterlingsjägers, der seine Falle nicht aus den Augen ließ. Trotzdem stellte er noch eine Frage:
»Lassen sich Schmetterlinge von Zucker anlocken?«
»Nein, eher von Salz.«
»Tatsächlich?«
»Ja, ich weiß ein Salzvorkommen hier in der Nähe, wo man prächtige Exemplare beobachten kann. Interessiert Sie das?«
Das Bild, das er sich ausgemalt hatte – Schmetterlinge, die das zuckerhaltige Blut von Reverdis weiblichen Opfern aufsaugen –, löste sich in Luft auf.
»Nein, eigentlich nicht.«
Er nahm die Sonnenbrille ab und reichte sie dankend zurück. Erst jetzt fiel ihm auf, dass das elektrische Licht schwächer geworden war, und er warf einen Blick auf den Scheinwerfer hinter dem Leintuch: Die Lampe war vollständig von Insekten bedeckt. Ein wogender schwarzer Panzer verglühte auf dem heißen Glas. Auch im Gesicht des Jägers schienen die tiefen, dunklen Falten in ständiger Bewegung.
Mark stammelte ein paar Worte des Dankes und machte sich davon.
KAPITEL 42
    Das Haus von Wong-Fat glich einer kalifornischen Villa: ein weißes Gebäude auf braunen Holzpfählen thronte hoch über der Stadt auf einer Anhöhe. Als Mark am Tor läutete, sah er unter sich die wie Spinnenfäden in der Luft hängenden Telefonkabel und das hangabwärts immer schmaler werdende Band der Straße. Er musste an San Francisco mit seinen steilen Straßen denken.
    Das Tor ging auf, und er betrat einen kleinen grauen Garten: eine schlichte Betonplatte neben einem türkisblauen Swimmingpool, der nicht größer war als ein Brunnen. Neben dem Maschendrahtzaun, der das Grundstück umgab, wuchs ein einzelner Baum. Seine Wurzeln hatten den Beton gesprengt und sich bis unter eine rosafarbene Hollywoodschaukel geschoben. Der Schmetterlingsjäger hatte Recht gehabt: Bei diesem Händler hatte Mark tatsächlich noch nicht vorgesprochen.
    Entlang den Wänden des Hauses standen Blechbehälter – ehemalige Farbtöpfe und Konservendosen, in denen es summte und vibrierte: Sie hatten die unangenehme Neigung, sich von allein in Bewegung zu setzen. Mark fiel es nicht schwer, sich ihren Inhalt vorzustellen – nach seinem Ausflug in den Wald hatte er in der

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