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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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– kein Pfad, kein Tennisplatz, kein Auto mehr … Nur eine dunkle Kulisse, als hätte ihm die Nacht den Rücken zugekehrt. »Halten Sie nach einem Licht Ausschau.« Doch er entdeckte nirgendwo einen Schimmer.
    Undeutlich sah er ein paar Meter weiter links Steine aus dem Wasser ragen und beschloss den Fluss zu durchwaten. Das Wasser war tiefer als gedacht: Bis zur Körpermitte durchnässt, kam er am anderen Ufer an. Inzwischen umschloss ihn die Finsternis, er tastete sich vorwärts und verfluchte sich, dass er keine Taschenlampe mitgenommen hatte.
    » What’s going on? Who is here? «, tönte plötzlich eine Stimme aus dem Dunkel.
Mark fuhr erschrocken zusammen und sagte ein paar Worte auf Französisch. Stille. Dann leuchtete unversehens, ohne die geringste Vorwarnung, ein blendender Lichtstrahl, grellweiß wie eine OP-Lampe, durch die Bäume.
Mark beschirmte seine Augen. Mit zusammengekniffenen Lidern blinzelte er in ein perfektes Rechteck aus Licht etwa zehn Meter über ihm. Gleichzeitig nahm er das Brummen eines Generators wahr. Vor dem Tuch – denn es war ein auf einen Metallrahmen gespanntes weißes Tuch; das erkannte er jetzt – zeichnete sich eine Gestalt im Regenumhang ab.
Der Mann kam näher und sagte auf Französisch: »Hier, setzen Sie das auf.«
Er hielt ihm eine Sonnenbrille hin. Er selbst trug unter seiner Kapuze eine Brille aus Quecksilberglas: »Meine Lampe verbreitet starke UV-Strahlen. Besser, man schützt sich.«
Mark setzte die Brille auf und betrachtete die schon von Insekten wimmelnde Falle.
»Wir wissen nicht, warum das Licht sie anlockt. Man vermutet, dass ihnen die Sterne zur Orientierung dienen und sie sich deshalb auf jede, selbst die schwächste Lichtquelle stürzen. Dieses starke Licht macht sie völlig verrückt. Haben Sie gewusst, dass sie mehrere tausend Augen haben? Aber was machen Sie eigentlich hier? Interessieren Sie sich für Schmetterlinge?«
Mark beobachtete ihn. Unter der Kapuze und der silbrigen Schutzbrille war von seinem Gesicht nicht viel zu erkennen, doch das Wenige, das zu sehen war, wirkte muskulös und glänzte wie vom Regen gewaschen.
Mark entschied sich, ehrlich zu antworten.
»Ich bin Journalist«, sagte er. »Gerichtsreporter. Ich recherchiere im Fall Jacques Reverdi.«
Der Schmetterlingsjäger stieß einen Pfiff aus.
»Sie müssen ja ganz versessen hinter ihm her sein, dass Sie bis zu mir vorgedrungen sind.«
Mark wurde warm unter seinen nassen Kleidern: Der Mann kannte Reverdi! In ungezwungenem Ton fragte er:
»In welcher Beziehung standen Sie denn zu ihm?«
Der Insektenforscher trat an das aufgespannte Leintuch. Es war dunkel vor Insekten, die sich mit ihren winzigen Haftfüßchen am Stoff festklammerten und ein tausendstimmiges Summen von sich gaben.
»Wir sind uns ein paar Mal begegnet«, sagte er, während er, umschwirrt von einer Wolke aus Wespen, Bienen und Mücken, vorsichtig einen grauen Schmetterling pflückte.
»Wo denn?«
»Hier im Wald.«
»Nachts?«
»Ja, nachts. Er streifte herum, wie ich.«
Mark schauderte. Reverdis hohe, hagere Gestalt tauchte vor seinem geistigen Auge auf, ein lautloser, lauernder Schatten.
Seltsamerweise sah er ihn im Taucheranzug: einer matt schimmernden schwarzen Haut. Ein Panther.
»Hat er Schmetterlinge gesammelt?«
»Glaub ich kaum. Nein, ich habe ihn nie mit der Ausrüstung gesehen.«
In der feuchten Luft verbreitete sich ein intensiver Ammoniakgeruch. Der Sammler hatte ein Kunststoffgefäß geöffnet und den Schmetterling hineingesetzt – Mark bildete sich ein, ihn schreien zu hören. Der Mann verkorkte das Gefäß und lächelte zufrieden.
»Eine Sphinx«, sagte er. »Aus der Familie der Schwärmer. Einer der größten Nachtfalter. Dieses Exemplar hier ist eine Acherontia atropos, ein Totenkopfschwärmer. So nennt man ihn wegen der Flügelzeichnung. Er kann Schreie ausstoßen und dringt sogar in Bienenstöcke ein, weil er scharf auf Honig ist. Haben Sie Das Schweigen der Lämmer gesehen? Es ist derselbe Schmetterling, dessen Puppe der Mörder seinen Opfern in den Hals schiebt.«
Schon wieder Das Schweigen der Lämmer. Nein, das war ganz bestimmt eine falsche Spur. Reverdis Wahnsinn hatte kein Vorbild. Mark wehrte mit beiden Händen die hektisch schwirrenden Insekten ab.
»Der Ammoniak«, raunte der Jäger, »macht sie high, bevor sie ins jenseits befördert werden.«
Er zog eine Spritze hervor, und Mark wandte unwillkürlich den Kopf ab. Auf dem Tuch stemmte sich das Insektengewimmel gegen den heranpeitschenden

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