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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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und Touristen in Geländewagen behaupteten.
Er drosselte seine Geschwindigkeit und stellte fest, dass diese Ureinwohner allenfalls noch eine Touristenattraktion waren. Statt Lendenschurzen trugen sie Reebok-T-Shirts, und ihre Blasrohre waren Antennenradios gewichen. Sie hockten vor ihren Hütten und boten die Erzeugnisse des Waldes zum Kauf an: Honig, Pflanzensprossen, mit Nadeln auf Pappkarton gespießte Käfer und Skorpione.
Auf einmal sah er aus dem Dschungel eine Gruppe von Menschen kommen, die mit ganz anderen Werkzeugen bewaffnet waren. Mark schloss zu ihnen auf und betrachtete die langen Holzstangen, die sie über der Schulter trugen: Schmetterlingsnetze. Sicher war auch das eine Spezialität der Region.
Er bremste abrupt.
» Suche am Himmel. «
» Die Wegmarken, die schwirren und schwärmen. «
Schmetterlinge!
    Schon in der ersten Stadt, in Ringlet, bestätigte ein Blick in die Geschäfte seine Vermutung: Schmetterlinge waren die Spezialität der Gegend. Er betrat einen Laden und ließ sich das Phänomen erklären: In den Cameron Highlands waren eigene, nur hier, in dieser Höhe heimische Arten von weltweit einzigartiger Schönheit entstanden.
    Er fuhr weiter. In Tanah Rata – auf zweitausend Metern Höhe – fand er ein chinesisches Restaurant, wo er sich einen Platz im hintersten Winkel suchte. Um drei Uhr nachmittags war das Lokal menschenleer. Er bestellte einen Kaffee. Schmetterlinge! Der Gedanke ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.
    »Suche am Himmel.«
»Wegmarken, die schwirren und schwärmen.« Vielleicht war es das.
    Er trank den nach Chlor schmeckenden braunen Schaum in kleinen Schlucken und malte sich dabei die perversen Praktiken eines Mörders aus, bei denen Schmetterlinge eine Rolle spielten. Er sah Reverdi vor sich, der Schmetterlinge auf blutige Frauenkörper legte, ihre bunten Flügel auf die Wunden drückte und zusah, wie sie zuckend die Schnitte liebkosten …Dann fiel ihm der abnorm erhöhte Blutzuckerspiegel wieder ein. Anscheinend hatte der Mörder Pernille Mosensen mit Süßigkeiten vollgestopft. Wozu – um Schmetterlinge anzulocken?
    Er bestellte noch einen Kaffee. Diese Hypothese überzeugte ihn nicht – sie erinnerte ihn zu sehr an Thomas Harris’ Roman Das Schweigen der Lämmer, in dem der Mörder seinen Opfern Schmetterlingspuppen in den Rachen schiebt. Mark aber war ganz sicher, dass Reverdi keinerlei Fremdeinflüssen unterlag. Niemals hätte er sich von den Verbrechen eines anderen inspirieren lassen, weder von realen noch von fiktiven, die in seinen Augen ohnehin nichts wert waren. Was also steckte dahinter?
    Von dem schwach beleuchteten Lokal aus blickte er über die Terrasse hinweg auf die Hauptstraße der kleinen Stadt, in der sich die unterschiedlichsten Stile mischten: asiatische Lebensmittelgeschäfte mit herrschaftlichen Kolonialbauten und seltsamerweise auch mit regelrechten Almhütten – Tanah Rata glich einem Alpendorf.
    Er betrachtete die Passanten, Schüler mit ihrem Ranzen auf dem Rücken, Erwachsene verschiedener Abstammung, Malaien, Chinesen und Inder, dazwischen Touristen, die ihrerseits zur Exotik des Ortes beitrugen. Zwei blonde, rosige junge Frauen fielen ihm auf, die Bergstiefel und riesige Rucksäcke trugen. Seine Überzeugung wuchs.
    Reverdi war hier gewesen.
Er hatte in diesem Gebirge gejagt.
Mark stand auf und zahlte.
Die Schmetterlinge: Er brauchte es nur zu überprüfen.
    Er besuchte die Werkstätten, in denen Schmetterlinge aufgespießt und für Schaukästen präpariert werden. Seine Fragen stießen auf allgemeine Gleichgültigkeit, die chinesischen Arbeiter blickten kaum von ihrer Arbeit auf. Er suchte die Treibhäuser in der Umgebung auf, in denen Pflanzen, deren Identität die Einheimischen wie ein Geheimnis hüten, angebaut werden – die einzigen, von denen sich die Raupen der prächtigsten Arten ernähren. Auch hier kam er nicht weiter. Zwar erkannte jeder Jacques Reverdi auf dem Foto, das er vorzeigte, allerdings nur, weil sie ihn schon auf den Titelseiten der Zeitungen gesehen hatten. Er stieg in die Oberstadt hinauf und läutete an den Türen reicher chinesischer Großhändler, die Reptilien, Schmetterlinge und sonstige Insekten in die ganze Welt exportieren. Auch hier nur Kopfschütteln: Niemand war Reverdi jemals begegnet.
    Um sechs Uhr abends machte sich Mark auf die Suche nach einem Hotel. Trotz seiner Erschöpfung wollte er sich nicht geschlagen geben. Doch die Dämmerung verwirrte ihn, Zweifel beschlich ihn: Reverdi hatte vom Himmel

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