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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Nacht von Wespen und Hummeln geträumt. Er entdeckte auch Flaschen mit Honig und große Glasgefäße, die mit Bienenwachs gefüllt waren.
    »Was wollen Sie?«, fragte eine feindselige Stimme.
    Wong-Fat stand in einer der Fenstertüren nahe der Hollywoodschaukel. Er musste an die sechzig sein, doch wie beiden meisten Chinesen sah man ihm das Alter nicht an: Er hatte weder Falten noch weiße Haare. Dafür ein pockennarbiges Gesicht wie eine Orangenschale. Sein Äußeres verriet nicht das Geringste über seine Person.
    Mark entschuldigte sich für die sonntägliche Störung und gab als Grund seines Besuchs die Zeitung an, die ihn schicke, um im Fall Jacques Reverdi zu recherchieren.
    »Dazu sage ich nichts.«Das war immerhin eine klare Ansage. Es vergingen ein paar Sekunden, in denen nur das Knistern und Summen aus den Gefäßen zu hören war. Mark war ratlos. Ohne rechte Überzeugung sagte er: »Hören Sie … ich habe zwölftausend Kilometer zurückgelegt, um …«»Sie werden von mir kein Wort über diesen Mann hören. Gehaben Sie sich wohl.«Das Gesumm wurde lauter, als spürten die Insekten die Wut ihres Meisters. Mit einer entmutigten Handbewegung wandte Mark sich ab und ging. Doch nach wenigen Schritten fuhr er wie unter einer jähen Anwandlung herum und kam zurück.
    »Bitte«, sagte er eindringlich. »Es ist wirklich sehr wichtig für mich.«
»Ich rede nicht mit Ihnen. Wenn ich jemals etwas sagen müsste, dann nur gegenüber der Polizei meines Landes.«
Mark spürte eine kaum merkliche Veränderung im Tonfall des Chinesen. Von seinen Interviews her war er es gewohnt, auf Untertöne und Beiklänge in der Stimme seiner Gesprächspartner zu achten, und hatte ein gutes Ohr für unterschwellige Botschaften. Der Insektenhändler meinte genau das Gegenteil dessen, was er sagte: Mit der Polizei zu reden war das Letzte, was er wollte.
Mark versuchte es mit einem Bluff: »Na gut, dann gehen wir eben zur Polizei, und Sie reden auf dem Revier von Tanah Rata.«
Der Mann warf ihm einen wütenden Blick zu. »Gehen Sie.«
Er ging auf das Tor zu und wollte es schließen, doch Mark trat ihm in den Weg.
»Na schön, dann gehe ich eben allein hin und komme mit der Polizei zurück.«
Die Finger am Torgriff wurden weiß. »Was wollen Sie eigentlich?«
Die Stimme klang etwas weniger angriffslustig.
»Ich will alles hören, was Sie über Reverdi wissen. Was er bei Ihnen gekauft hat und weshalb. Es bleibt unter uns, das verspreche ich Ihnen.«
»Unter uns? Bei einem Journalisten? Dass ich nicht lache!«
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Mark zog sich in den Schatten des Baums zurück.
»Was Sie mir sagen, werde ich in meinem Artikel ohne Quellenangabe erwähnen.«
»Welche Garantie bieten Sie mir dafür?«
»Die Garantie der Vernunft. Meine Leser sind Franzosen. Sie interessieren sich für Jacques Reverdi, nicht für Wong-Fat. Ihr Name sagt niemandem etwas.«
Der Händler ließ das Tor nicht los, entspannte sich aber ein wenig. Mark ahnte, dass er sich nicht von der Stelle rühren würde. Was es zu erfahren gab, würde er hier erfahren, innerhalb weniger Minuten. Er ging sofort zum Angriff über:
»Was haben Sie Reverdi verkauft?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Befürchten Sie, wegen Beihilfe belangt zu werden?«
Wong-Fat sah ihn erstaunt an. »Darum geht es nicht, überhaupt nicht.«
»Wovor fürchten Sie sich dann?«
Der Mann blickte starr zu Boden. Die Schatten der Blätter tanzten auf seinem pockennarbigen Gesicht.
»Es geht um meinen Sohn.«
»Um Ihren Sohn?«
Mark verstand nichts.
»Meinen Sohn …« Er deutete mit der Hand auf das Haus, den Swimmingpool, die summenden Blechgefäße. »Jeden Skorpion, jeden Schmetterling habe ich seinetwegen verkauft. Um ihm das Beste bieten zu können. Privatschulen. Das Jurastudium in Großbritannien …«
Er verstummte. Auch die gefangenen Insekten schienen sich zu beruhigen. Im Einklang mit ihrem Meister.
»Mein Sohn. Ein Taugenichts. Ein schlechter Mensch.«
»Inwiefern?«
Wong-Fats Gesicht verkrampfte sich. Die Leichtigkeit der tänzelnden Schatten bildete einen merkwürdigen Kontrast zur Starre seiner Züge. Mark blickte zu den Ästen hinauf und sah, dass sie von langen zweigförmigen grünen Insekten übersät waren. Seltsamerweise fiel ihm sofort der Name dieser Kerbtiere ein: Gespenstschrecken. Woher hatte er solche Kenntnisse?
»Schlechte Neigungen«, sagte Wong-Fat dumpf.
Mark sah keinen Zusammenhang mit Jacques Reverdi, wollte aber Wong-Fats Bekenntnisse auf keinen Fall

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