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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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gesprochen, an dem Elisabeth suchen sollte, »Schwing dich auf in die Lüfte, meine Lise« – woraufhin er sich sogleich ins Gebirge aufgemacht und sich einen Film über Schmetterlinge ausgedacht hatte … Das stand alles auf sehr wackligen Füßen.
    Die Hotels in Tanah Rata waren allesamt ausgebucht, und Mark suchte außerhalb der Stadt nach einer Unterkunft. Er fand ein weiß verputztes Herrenhaus mit efeuumrankten Zinnen, hohen Schornsteinen und schwarz-weiß gestreiften Sonnenschirmen auf der Terrasse; Lake House nannte es sich.
    Der indische Empfangschef fragte ihn mit affektiert britischem Akzent: »Dürfen wir Ihre Ausrüstung hereinholen?« »Was für eine Ausrüstung?«
»Sind Sie denn kein Jäger? Schmetterlingsjäger?«
»Nein.«
Über das dunkle Gesicht breitete sich ein unterwürfigesLächeln: »Verzeihen Sie. Wir haben noch einen französischen Gast hier, einen sehr bekannten Schmetterlingsjäger, und deshalb dachte ich …«Jäger, Franzose, Wald – dieses Profil wies vage ÜbereinStimmungen mit Reverdi auf. Einer jähen Eingebung folgend, versuchte er sein Glück: zum letzten Mal an diesem Tag.
    »Dieser Schmetterlingsjäger – ist er schon von seinem Ausflug zurück?«
Der Portier musterte ihn herablassend. »Im Gegenteil, er hat sich gerade erst auf den Weg gemacht.«
»Um sechs Uhr abends?«
»Wir sprechen von Nachtfaltern, mein Herr.«
KAPITEL 41
    Die grüne Stunde.
    Diese Wendung kam ihm in den Sinn, als er aus dem Auto stieg. Er war den Anweisungen des Inders gefolgt, war die Straße entlanggefahren bis zu dem Schild mit der Aufschrift »Evangelische Mission« und dort in den Pfad eingebogen, der ins Dickicht führte. Nach dreihundert Metern kam er mit dem Auto nicht weiter: Der Weg endete an einem Abhang. Vor ihm lag dichter Dschungel, der in mehreren Etagen hoch über ihm aufragte.
    Die grüne Stunde.
    Der Augenblick, in dem sich die Schatten unter den Bäumen ausbreiten und alles den Anschein erweckt, als begäbe der Wald sich zur Ruhe – aber weit gefehlt, jetzt erwacht er erst richtig zum Leben. Mark war wie elektrisiert. Der Lärm ringsum wurde ohrenbetäubend. Wildes Geklapper, schrille Pfiffe, dumpfes Knurren – Scharen unsichtbarer Vögel tobten im Gezweig. Dazwischen tönten andere, nur vorübergehende Laute: das Krächzen eines Rabengeschwaders, der gellende Ruf eines Reihers, der sich alsbald in der Ferne verlor. Ringsum aber rauschten und wogten hohe Gräser, Schilfrohr, Palmen und Farne, die den Pfad säumten und ihn wie sanfte Wellen lockten, in ihre Fluten einzutauchen.
    Er machte sich auf den Weg. »Warten Sie, bis es dunkel ist, und halten Sie dann nach einem Licht Ausschau«, hatte der Portier ihm geraten: Der nächtliche Jäger benutzte Scheinwerfer. Mark stieg den Abhang hinunter. Ein scharfer Wind fuhr ihn an. Er stellte den Kragen seiner Jacke auf und drang tiefer in den Dschungel ein.
    Gräser und Bäume schwankten und wiegten sich, als hätte sie bei Anbruch der Nacht eine sehnsüchtige Erregung erfasst. Intensive Düfte stiegen empor, der Wald hatte sämtliche Sinnesorgane entfaltet. Mark begriff die Ursache dieses plötzlichen Erwachens nicht: Worauf wartete der Dschungel? Weshalb regte er sich plötzlich so ungestüm?
    Auf einmal fing es an zu regnen.
Zuerst waren es nur ein paar schwere, klatschende Tropfen. Gleich darauf wurde daraus ein regelmäßiges Prasseln, das dieSchreie der Vögel übertönte: Der durstige Wald, dem die sengende Hitze des Tages Wasser und Nährstoffe entzogen hatte, erwachte, um zu trinken.
    Mark ging noch immer bergab. Auf einer Lichtung tauchte ein alter Tennisplatz auf. Es war immer wieder dasselbe Paradox: Wenn er sich noch mitten in der Wildnis wähnte, stieß er allenthalben auf Spuren der Zivilisation. Einer verfallenen Zivilisation allerdings: Welkes Laub, Lianen, Efeu hatten das Terrain zurückerobert.
    Während er den Platz umrundete, setzte ein Wolkenbruch ein. Mark suchte nicht nach einem Unterstand, sondern ging weiter am Rand des Abhangs entlang und blickte in das Dschungeldickicht hinab, das in Stufen abwärts führte. Das Blätterdach glich jetzt dunklen Wellen, die unter dem Ansturm des Regens heranbrandeten und zu grüner Gischt zerstoben. Aus der Vegetation war eine Dünung geworden, nass glänzend und rauschend und von einem Grün, das keine Farbe mehr war, sondern ein Schrei.
    Mark stieß auf einen Fluss und drehte sich unwillkürlich um: Die Dunkelheit hatte sich über dem Weg, auf dem er gekommen war, geschlossen

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