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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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herausfinden, weshalb Reverdi die Begriffe »Wegmarken« und »Ewigkeit« miteinander in Verbindung brachte. Welcher Zusammenhang bestand zwischen den Bienen und der Unendlichkeit?
    Eines stand fest: Diese Begriffe verschleierten eine Grausamkeit. Der Honig war die Zutat zu einer perfiden Foltermethode. Wong-Fat, der Insektenhändler, hatte gesagt: »Seitdem ich weiß, dass Reverdi ein brutaler Mörder ist, kann ich mir denken, was er den Mädchen antut.« Dabei konnte der Chinese nichts von dem abnorm hohen Blutzuckerspiegel wissen; die Presse hatte nichts davon erwähnt. Dennoch hatte er begriffen, welche Funktion der Honig bei dem Opferritual spielte. Wieso?
    Als die Räder des Flugzeugs auf dem Rollfeld aufsetzten, meinte er einen Schlag zu verspüren, der ihm durch Mark und Bein ging.
    Siem Reap war die logische Fortsetzung von Phnom Penh.
    Zumindest danach zu urteilen, was er mitten in der Nacht davon zu sehen bekam. Große Bäume mit herabhängenden Blättern; grauer Staub, der im Scheinwerferlicht silbrig schimmerte; gedrungene, schmucklose Flachbauten.
    Er stieg im erstbesten Hotel im Stadtzentrum ab, dem Golden Angkor. Fünfzehn Dollar die Nacht, Frühstück eingeschlossen. Klimaanlage. Und alles tadellos sauber.
    Mark gefielen die hellen Wände seines Zimmers, der fleckenlose Linoleumboden, der Geruch nach Chlorreiniger; es ließ ihn an eine Galerie für zeitgenössische Kunst denken. Mit dem riesigen Deckenventilator anstelle des Kunstwerks.
    Ein reiner Raum.
Ein Raum zum Nachdenken.
Mehr brauchte er nicht.
    Ausgestreckt auf seinem Bett, nahm er den Faden seiner Gedanken wieder auf. Endlos gingen ihm die Fragen durch den Kopf. Zunächst aber musste er entscheiden, ob er Reverdi mailen sollte. Nein. Lieber erst nach Angkor und dem Gespräch mit dem Imker. Erst dann würde Elisabeth beweisen, dass sie ihre zweite Chance genutzt hatte.
    Er schaltete das Licht aus, aber an Schlaf war nicht zu denken. Die Hypothese von einem zweiten Mann quälte ihn: Prinzessin Vanasi hatte tatsächlich Zweifel in ihm geweckt. Es war immerhin vorstellbar, dass Reverdi einen Komplizen hatte.
    Wieder dachte er an die ungelöste Frage nach dem Vater. War es denkbar, dass irgendwo ein krimineller Vater lebte, der Reverdi beeinflusst, geprägt oder ihm bei seinen Gräueltaten sogar geholfen hatte? »Er ist kein Einzeltäter«, hatte die Prinzessin gesagt. Dr. Alangs Kommentar zu der Videoaufzeichnung fiel ihm ein: »Er redet über den Mord, als wäre er ein Augenzeuge und nicht der Täter«, und er hörte die hohe Stimme des wieder zum Kind gewordenen Reverdi: »Versteck dich, schnell, Papa kommt …«Nein. Unmöglich. Eine völlig absurde Theorie. Schon bei dem Gedanken, dass der perverse Anwalt, der Mann namens »Jimmy«, zu Jacques’ verlängertem Arm werden könnte, war er ins Schwitzen geraten – er würde jetzt nicht auch noch einen teuflischen Vater erfinden, der ihm auf den Fersen war …Mark verdrängte energisch sämtliche Hirngespinste und schloss die Augen über dem beruhigenden Gedanken: Jacques Reverdi ist allein.
    Und er war, mit Elisabeth, zu zweit.

KAPITEL 50
    Am nächsten Morgen mietete Mark einen Motorroller: Die Ruinen von Angkor waren fünf Kilometer entfernt. Er durchquerte Siem Reap, eine große, gesichtslose Provinzstadt, bis er an einer Schranke mit einem Kassenhäuschen angelangt war, dem Eingang zu der archäologischen Stätte.
    Dort gönnte er sich erst einmal ein asiatisches Frühstück: eine große Schale lauwarme Nudeln mit kalten Rindfleischstückchen und Karottenscheiben. Frisch gestärkt, entrichtete er bei den schläfrigen Aufsehern seinen Obolus. Beiläufig erkundigte er sich nach dem Imker. Die Männer nickten und reckten den Daumen in die Höhe: » Honey very good … «Mark fuhr auf einem schnurgeraden Weg, einer langen gerodeten und asphaltierten Schneise ohne Abzweigung und ohne Biegung, durch den grauen Busch.
    Er begegnete Bauern auf Fahrrädern, die unter der Last von Palmzweigbündeln fast verschwanden, sah Hütten, vor denen Benzin in Whiskyflaschen verkauft wurde, Elefanten, denen ein beschwerlicher Arbeitstag als Reittier für Touristen bevorstand. Besonders angetan hatten es ihm die großen silbrigen Bäume, deren Namen er aus dem Reiseführer wusste: Banyan- und Kapokbäume.
    Zu seiner Überraschung bog der Weg plötzlich scharf, fast im rechten Winkel ab: Direkt vor ihm lag ein von Seerosen überwuchertes Altwasser. Mark hielt an und betrachtete das stehende Gewässer. Nirgends

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