Das schwarze Blut
drehte sich um. Sein Gesicht hatte sich verändert, es war jäh eingefallen, mit schmalen, bebenden Lippen. Er schien völlig außer sich.
»Aber … Ist das wirklich ernst? Sie wollen sich vereinigen mit einer …«
Er konnte den Satz nicht beenden. Jacques musterte ihn: Der Fettwanst war den Tränen nahe. Nicht zu fassen. Anscheinend hatte er von einer tiefen Beziehung mit seinem Mandanten geträumt – von Komplizentum, Freundschaft, vielleicht mehr, echter Seelenverwandtschaft … In beschwichtigendem Ton, wie um ihn zu trösten, murmelte Reverdi: »Nicht gleich, das dauert noch eine Weile. Sie ist noch nicht so weit.«
»Noch nicht so weit?« Der Anwalt fand seinen professionellen Tonfall wieder: »Du lieber Himmel, wovon reden Sie eigentlich?«
Reverdi kniete vor seinem Altar nieder. Mit den Fingerspitzen strich er über Elisabeths Gesicht.
»Ihre Initiation ist noch nicht abgeschlossen«, sagte er.
»Sind Sie weiterhin in Verbindung mit ihr? Briefe sind ja schon lang keine mehr gekommen …«
Reverdi schloss die Augen. »Ich spüre sie kommen. Sie nähert sich mir.«
Er stand wieder auf und sah Wong-Fat starr an: »Es ist nur noch eine Frage von Tagen.«
KAPITEL 64
Die fünfte Nachricht bestand nur aus drei Worten: » Rasch nach Bangkok. « Das hatte sich Mark nicht zweimal sagen lassen. Von der birmanischen Grenze war er augenblicklich wieder umgekehrt und die ganze Nacht, neun Stunden durchgefahren, nur zum Tanken hatte er angehalten. Um fünf Uhr morgens war er am Flughafen von Phuket. Dort schlief er zwei Stunden im Auto, in seinen Regenumhang gewickelt, die Spritze – seine Beute, seinen Talisman – fest in der Hand. Halb erfroren, halb fiebrig erwachte er, gerade rechtzeitig für die erste Maschine nach Bangkok.
Seit seiner Expedition auf die Toteninsel dachte er an nichts anderes als an den Inhalt der Spritze. Mit bloßem Auge war nicht viel zu erkennen – mit rötlichen Partikeln durchsetzte Luft, die auch ein Gas sein konnte. Die »Farbe der Wahrheit«, wirklich? Was war es denn, was er der Lunge des Opfers entnommen hatte? Stellte diese Probe tatsächlich den Schlüssel zu dem makabren Ritual dar?
Die Ankunft in der Hauptstadt ließ ihn einigermaßen zur Ruhe kommen. Er war froh um das Menschengewimmel am Flughafen, den Verkehrslärm, den vertrauten Anblick der gleichgültigen Wolkenkratzer in der Ferne. Als er sich auf der Autobahn der Megalopolis näherte, erschien sie ihm von geradezu friedlichem Blau. Das war zweifellos der Widerschein des wolkenlosen Himmels in den gläsernen Türmen.
Doch als er in der Innenstadt anlangte, musste er seine Meinung revidieren. Erdrückt von den Bauten, dem Verkehr, dem atemberaubenden Gestank, schien Bangkok unter dem eigenen Gewicht zusammenzubrechen. Riesige Betonbrücken schoben sich gewaltsam in die engen Straßen und drängten die Gebäude auseinander, um ihnen eine blinde, siegreiche neue Welt aufzuzwingen. Der allgegenwärtige Asphalt deckte ganze Stadtviertel zu und machte sich noch in den engsten Gassen breit. Die Stadt schien es eilig zu haben, ihre Vergangenheit zu begraben, wie eine Leiche, deren sie sich schämte.
Noch im Taxi las Mark die Anweisungen des sechsten Anhangs:
Deine nächste Station ist das Krankenhaus Siriraj. Vom Flughafen kommend, fährst du mit dem Taxi das Flussufer entlang, bis du zu einer Linienschiff-Haltestelle gelangst. Kauf dir ein Ticket bis zur Station »Pran Nok«, die auch »Wang Lang« heißt. Dort öffnest du den letzten Anhang.
Mark bezahlte den Fahrer und stieg in ein Boot. Desorientiert, wie er war, ließ er den Blick teilnahmslos über die Kontraste der Stadt schweifen. Die traditionellen kleinen Holzbauten auf grünen Inseln zwischen postmodernen Hochhäusern. Die Stupas und Pagoden zwischen Festungen aus Stahl und Beton. Die wie Blätter geformten Barken, an denen mit ohrenbetäubendem Lärm die Außenborder vorbeischossen … Diese Welt kam ihm fiebrig und krank vor. Sogar die Passagiere rings um ihn erschienen ihm grau und blutleer, mitgenommen von der schlechten Luft.
Die Station Pran Nok mündete in einen Markt. Hier war das Gedränge so dicht, dass man kaum aus dem Boot herauskam. Mark hatte Glück: Innerhalb des mit Gittern umzäunten Stationsgeländes fand er, ein wenig zurückgesetzt, eine Bank. Dort öffnete er den siebten Anhang. Das Siebte Siegel der Apokalypse kam ihm in den Sinn.
Was er las, verwunderte ihn. Aber er hatte jetzt keine Wahl mehr.
Er stürzte sich ins Getümmel. Die Geschäfte
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