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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Es war in der Tat der Tag der Blutwäsche.
Allerdings hatte Alain dabei kräftige Unterstützung erhalten. Er war nackt, mit Wäscheleine und einem Elektrokabel an seine Liege gefesselt. Neben ihm stand ein Apparat mit zwei langen Schläuchen, mehreren Messgeräten und zwei Pumpen: das Dialysegerät.
    Jemand hatte den Schlauch, der von dem Shunt in Alains Arm wegführte, vom Dialyseapparat getrennt und wie mit einem Gartenschlauch mehrere Gefäße gefüllt, die aufgereiht auf dem Boden standen – Blumenvasen, Konservengläser, geköpfte Mineralwasserflaschen … alle randvoll und klebrig von Blut.
    Marks Kehle war zugeschnürt.
Er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Jacques Reverdi war bereits in Paris.
    Er versuchte das Geschehen zu rekonstruieren: Wahrscheinlich hatte das Verhör so stattgefunden, dass der Mörder, während er sein Opfer befragte, die Öffnung des durchtrennten Schlauchs mit dem Daumen zuhielt. Gab Alain keine befriedigende Antwort, nahm er den Daumen von der Öffnung und füllte ein Gefäß. Es folgte die nächste Frage, der nächste Behälter. Und so weiter.
    Aber Reverdi war noch viel teuflischer.
    Nachdem alle seine Fragen beantwortet waren, hatte der Mörder Alain den Schlauch in die Kehle gestopft und ihn gezwungen, das eigene Blut zu schlucken. Das Opfer war daran erstickt. Unterdessen arbeitete die Maschine unverdrossen weiter, weshalb ihm das frische Blut aus Mund, Nase und Ohren quoll, ja, der ganze Kopf war angeschwollen, die Backen dick, die Schläfen gedunsen.
    Als Mark näher trat, sah er, dass der künstlich erzeugte Druck die letzten Zentiliter Blut in Alains Kopf pumpte. Das Gesicht sah aus, als stünde es kurz vor dem Bersten.
    Mark wunderte sich, dass er noch so klar denken konnte. Nur die Not der Situation hielt ihn aufrecht. Was hatte der Vietnamese verraten können? Nicht viel, außer dass immer ein Mann Elisabeths Post abgeholt hatte. Abgesehen davon, wusste Alain vermutlich nur seinen Vornamen. Einmal hatte er zwar seinen Ausweis sehen wollen, als Mark vor acht Monaten seinen »Lager- und Nachsendeantrag« gestellt hatte. Aber dass er sich noch an weitere Details erinnerte, war äußerst unwahrscheinlich.
    Mark blieb folglich eine Galgenfrist. Vorsichtig trat er den Rückzug an und überlegte dabei, ob er irgendetwas angefasst hatte. Der automatische Reflex des alten Schnüfflers, der niemals Spuren hinterlässt.
    An der Tür zum Flur fiel ihm ein, dass er die Maschine abstellen könnte, um das Äußerste zu verhindern, und er machte kehrt. Doch vor den Schaltknöpfen hielt er ratlos inne. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie das System funktionierte, und bei der Vorstellung, aus Versehen – zum Beispiel indem er den Druck erhöhte – das Platzen des Schädels herbeizuführen, verzichtete er lieber.
    Zurück in der Diele, zog er den Ärmel über die Hand und öffnete die Wohnungstür, nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Korridor leer war. Bevor er ging, suchte er in seinem Gedächtnis nach einem Gebet, nur ein paar Worten, um Alain um Verzeihung zu bitten.
    Es fiel ihm nichts ein.
Er überließ den Vietnamesen seiner Pumpe.
KAPITEL 77
    Vorsichtshalber ging er ein Stockwerk zu Fuß und holte erst in der elften Etage den Aufzug. In der Kabine brach er zusammen. Er rutschte die Wand hinunter und brach in Schluchzen aus. Er war verloren und, das wusste er, so gut wie tot. Er wagte nicht, sich die Folterqualen vorzustellen, die ihn selbst erwarteten.
    In der fünften Etage ging die Tür auf. Mark hatte gerade noch Zeit, sich aufzurappeln. Zwei kichernde chinesische Jugendliche betraten die Kabine. Er drückte sich an die hintere Wand und hielt den Atem an, um sein Schluchzen zu unterdrücken. Im Erdgeschoss stiegen die Kinder aus, ohne sich nach ihm umzudrehen. Die Tür schloss sich wieder, der Aufzug fuhr noch weiter abwärts. Der Wohnblock war derart riesig, dass er ein zweites Erdgeschoss hatte …Als sich die Tür wieder öffnete, stand Mark vor einer Einkaufsstraße, die in einen Garten unter freiem Himmel mündete. Er ging ein paar Schritte und sperrte ungläubig die Augen auf: Innerhalb einer einzigen Etage hatte es ihn nach Hongkong, nach Peking verschlagen. Alle Gesichter waren chinesisch. Alle Stimmen sprachen Chinesisch. Alle Neonschilder waren rot, blau, gelb leuchtende chinesische Schriftzeichen. Essensdünste wehten ihn an, Geruchsschwaden von Knoblauch und Sesamöl.
    Mark schwankte. Ein Mann rempelte ihn, sodass er gegen das

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