Das schwarze Blut
Gehetztes. Mark musste mitspielen, eine Zeit lang wenigstens … »Super.«
»Aber auf die Interviewanfragen haben Sie nicht geantwortet …«
»Renata, ich muss Sie um was bitten.«
»Nur zu. Nach den ersten Reaktionen der Buchhändler ist mir jeder Wunsch von Ihnen Befehl.«
»Hat sich wegen des Buchs jemand mit Ihnen in Verbindung gesetzt? Ein Mann, der Ihnen komisch vorkam?«
»Inwiefern komisch?«
Mark begriff, dass er so nicht weiterkam. Niemals würde Jacques Reverdi sich verdächtig oder auch nur auffällig benehmen. Im Gegenteil. Trotzdem gab er nicht auf:
»Ich weiß nicht. Ein Journalist, der Ihrer Presseabteilung unbekannt ist. Ein Typ, der aus irgendeinem Grund unbedingt persönlich mit mir reden will. War nichts in der Art?«
»Nein.«
»Hat sich keiner im Verlag rumgetrieben, der dort nichts zu suchen hat?«
»Sie machen mir langsam Angst …«
Mark war jetzt in der Rue Bonaparte angelangt.
»Hören Sie gut zu. Wenn Sie mir wirklich einen Gefallen tun wollen, sperren Sie Ihr Büro zu und suchen Sie sich irgendwo einen ruhigen Ort außerhalb Ihrer Wohnung. Übernachten Sie heute auf keinen Fall zu Hause.«
»Was ist das denn für eine Geschichte! Offen gestanden, Mark, Sie werden mir richtig unheimlich.«
»Ich erklär Ihnen alles morgen, Ehrenwort. Aber halten Sie sich heute Abend an meine Anweisungen, ja?«
»Na gut …« Ihre hauchende Stimme vibrierte in den tiefen Lagen. »Das ist weiß Gott eine sehr seltsame Bitte, aber okay … Ich hab ja schon einige schräge Vögel erlebt, aber Sie stellen wirklich alles in den Schatten.«
Mark beendete das Gespräch – er war in der Rue Jacob angelangt. Er bog links in den Hof ein, stand vor dem Tor. Und spürte sein Herz gegen die Rippen hämmern, fühlte seine Knie weich werden. Das Studio sah aus wie immer, hinter den riesigen Fensterscheiben waren die Vorhänge zugezogen. Er streckte die Hand nach der Klingel aus.
Und hielt mitten in der Bewegung inne.
Die Glastür stand offen. Nun gaben seine Beine endgültig unter ihm nach. Mark drehte sich um die eigene Achse und lehnte sich Halt suchend an die Scheibe. Wie ein Riss, wie das Knacken brechender Knochen fuhr ihm die bittere Erkenntnis durch alle Gliedmaßen.
Jacques Reverdi war ihm zuvorgekommen.
Und womöglich war er noch da … Er erinnerte sich, dass hundert Meter weiter, in der Rue de L’Abbaye, ein Polizeirevier war. Aber er dachte an Vincent und wandte sich wieder zur Tür. Schließlich war dieser entsetzliche Albtraum ganz allein seine Schuld.
Lautlos schob er die Tür auf. Im Studio herrschte eine Stille wie in der Kirche. Sämtliche Fenster waren verdunkelt, nur durch die wenigen Dachluken hoch oben fiel ein spärliches Licht herein. Nach zwei Schritten in den Raum bestätigte sich seine Befürchtung: Reverdi war hier gewesen – und bereits wieder fort.
Der Fußboden war mit Fotos übersät, Hunderten von Fotos. Der Mörder hatte sämtliche Archive geleert, um die Bilder von Khadidscha Kacem alias »Elisabeth Bremen« zu finden – und ihre Adresse.
Aber das war nicht das Schlimmste.
Das Schlimmste war Vincent. Hinter den ausgeschalteten Scheinwerfern saß er in seinem Sessel – einem Sessel auf Rollen, den Reverdi in die Mitte der Aufnahmebühne geschoben hatte. Der schwere Mann saß mit dem Rücken zu ihm, den gesenkten Kopf den bis zum Boden entrollten großen farbigen Kulissenrollos zugewandt. Seine Haltung war unmissverständlich. Rund um ihn lagen, kreisförmig verstreut, haufenweise Fotos.
Mehr tot als lebendig, trat Mark näher. Sein Kopf war ein Kabinett des Grauens, das nur noch Bilder der Vernichtung zeigte.
Auch Vincent war nackt, wie Alain, allerdings in der XXLVersion. Monströs. Fleischwülste, zusammengepresst von den zu Kordeln gedrehten Klebebändern, die ihn an den Sessel fixierten. Sein walähnlicher Leib war von zahlreichen Wunden übersät – nicht präzisen, wohlgesetzten Chirurgenschnitten, wie Reverdi sie seinen weiblichen Opfern beibrachte, sondern derbe, brutale Messerhiebe. Zornig, grausam, tief. Nach den Blutfontänen zu urteilen, die bis zu zwei Meter weit gespritzt waren, hatte Reverdi sich diesmal nicht auf die Venen, sondern auf die Arterien gestürzt. Eruptiver Erguss unter starkem Druck.
Doch Mark sah, dass Reverdi auch diesmal die Wunden zunächst wieder versiegelt hatte, mit Klebeband. Auch bei Vincent hatte er seine blutige Erpressung praktiziert, hatte die Antworten auf seine Fragen abgewartet, ehe er das Blut fließen ließ. Schwieg das Opfer, so riss
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