Das schwarze Blut
war, dass Khadidscha ein Auto besaß – denn er lud sie zwar zu einer Landpartie ein, konnte aber nicht mit dem passenden Gefährt aufwarten. Die junge Frau, die ein hübsches »A« auf das Heck ihres Twingo geklebt hatte, fuhr mit unverhohlenem Vergnügen. Sie habe ihren Führerschein noch nicht lang, erklärte sie, – es sei überhaupt ihre erste große Fahrt!
Unterwegs versuchte Mark das Gespräch in Gang zu halten, doch Angst, Verwirrung, Entsetzen und Trauer beherrschten ihn derart, dass er kaum ganze Sätze herausbrachte. Er hatte den rechten Außenspiegel so eingestellt, dass er den Verkehr hinter ihnen im Auge behalten konnte – für den Fall, dass ihnen jemand folgte. Khadidscha war viel zu sehr auf das Fahren konzentriert, als dass sie von seinem Manöver etwas bemerkt hätte.
Nachdem sie von der Autobahn abgefahren waren, ging es auf einer Landstraße weiter. Obwohl es rasch dämmerte, fand Mark den Weg ohne Mühe. Schließlich tauchte hinter einer Straßenbiegung, halb verborgen hinter Bäumen, die moosbewachsene Schlossmauer auf, und gleich darauf ragten zwischen herbstlich verfärbtem Laub die zwei Türme des Herrenhauses auf.
Sie fuhren durch das Portal die kiesbestreute Auffahrt entlang in den Hof. Beim Anblick der efeubewachsenen Fassade stieß Khadidscha einen bewundernden Pfiff aus. Trotz seines Zustands war Mark sehr empfänglich für ihren Charme: Jedes Wort, das sie sagte, jede Geste atmeten eine zugleich verwirrende und betörende Spontaneität und Frische, die sich mit ihrer Erscheinung einer unnahbaren Berberkönigin schwer in Einklang bringen ließen. Je besser man sie kennen lernte, desto mehr verblasste der erste Eindruck einer unberührbaren Ikone: Dann war sie vor allem eine lebenslustige, gebildete junge Frau, die kein Blatt vor den Mund nahm und ihre Schönheit wie einen leichten Mantel trug, den abzulegen sie vergessen hatte.
Nachdem sie – unter etlichen Flüchen, Zähneknirschen, zweimaligem Abwürgen des Motors – geparkt hatte, stiegen sie aus und betrachteten das Gebäude in seiner effektvollen nächtlichen Beleuchtung. Das Haupthaus war ein U-förmiger ehemaliger Gutshof aus grauem Stein; die dazugehörigen Stallungen linker Hand beherbergten jetzt ein Restaurant und diverse Tagungsräume. Im ersten Stock des Hauptgebäudes reihten sich die Fenster der Gästezimmer aneinander. Gegenüber im Park waren die Nebengebäude zu erkennen, in denen jetzt die Luxussuiten untergebracht waren, wie lauter verschwiegene Inseln. Mark entspannte sich ein wenig: Im Schutz der Schlossmauern und der hundertjährigen Eichen fühlte er sich zum ersten Mal an diesem Tag sicher.
Die Eingangshalle bestätigte den Eindruck schnörkelloser ländlicher Herrschaftlichkeit. Unverputzte Steinmauern, dicke Teppiche auf blank poliertem Parkett, in einer Ecke eine eiserne Rüstung mit gewölbtem Brustharnisch. Mark hegte jetzt nur noch eine Befürchtung – dass ihn der Empfangschef oder ein Zimmerkellner wiedererkannte und ihm womöglich eine indiskrete Information zusteckte, die den »Abstauber« von einst interessiert hätte. Doch er hatte abermals Glück, das Personal hatte gewechselt, und man behandelte sie wie ein ganz normales Paar, das sich ein romantisches Wochenende gönnte.
Um nicht wie der armselige Verführer zu wirken, der seine Fäden spinnt, verlangte Mark – unhörbar für Khadidscha – zwei nebeneinander liegende Zimmer mit Verbindungstür. Irgendwo im Hinterkopf, in einem noch nicht vollständig von Furcht zerfressenen Winkel, litt er unter der Situation – dass er daherkam wie ein Teilzeit-Schürzenjäger, der seiner Sekretärin eine Falle stellt.
Die Situation entartete noch mehr zur Karikatur, als sie die Zimmer besichtigten: Himmelbett, samtene Steppdecke und eine mit Champagner bestens bestückte Minibar – das übliche Arsenal. Mark, zerknirscht vor Scham, wagte Khadidscha nicht anzusehen.
Als der Page sich entfernt hatte und sie sich in ihrem Zimmer einrichtete, durchstöberte Mark das seine bis in alle Winkel. Eine absurde Idee – als könnte Reverdi sich in einem Schrank verstecken. Er blickte aus dem Fenster, spähte hinüber zum Parkplatz. Es war nichts Auffälliges zu entdecken. Kein neu hinzugekommener Wagen, kein Besucher, keine schemenhafte Gestalt.
Mark warf einen Blick auf die Uhr: halb neun. Sie würden bald zu Abend essen. Dann wollte er mit Khadidscha reden. Wie würde sie reagieren? Würde sie verlangen, dass sie zur Polizei gingen? Mit Sicherheit. Es
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