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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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sagte. Unter seiner Jacke zitterte er wie Espenlaub, und der Angstschweiß auf seinem Gesicht stach wie eine Maske feinster Nadeln. Noch einmal versuchte er zu sprechen; umsonst. Der Direktor kam jetzt die Treppe herunter und redete Unverständliches auf ihn ein.
»Schon gut, schon gut«, stieß Mark schließlich hervor und ging mit gesenktem Kopf wieder ins Haus. Im Vorbeigehen rempelte er einen Kellner.
Als er an den Tisch zurückkehrte, zitterte er so sehr, dass er seine Gliedmaßen nicht mehr spürte: Hände und Füße schienen wie losgelöst vom restlichen Körper, und doch taten sie weh. Er dachte an die Phantomschmerzen amputierter Gliedmaßen.
»Was ist los?«, fragte Khadidscha. »Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
»Ein dringender Anruf. Alles in Ordnung.«
Um seinen Zustand zu verbergen, griff er nach der Karte, musste sie aber sofort wieder hinlegen, weil er zu sehr zitterte. Er schob beide Hände unter die Oberschenkel und konzentrierte sich auf die vor seinen Augen tanzenden Namen.
Du lieber Gott. Er musste mit ihr reden. Unbedingt.
    »Macht’s dir was aus, wenn ich die Tür offen lasse?«Die Frage war so lächerlich wie alles andere. Nie zuvor hatte sie ein derart groteskes Abendessen erlebt. Jedes Gespräch, kaum begonnen, erstarb sogleich wieder, und das Schweigen stand schwer und steinern zwischen ihnen wie Friedhofsstelen. Sie verstand überhaupt nichts mehr. Wie oft hatte sie von einem Tête-à-tête mit ihm geträumt …Sie ging ins Bad und betrachtete sich im Spiegel. Ihr Gesicht trug noch Reste der Schminke von der Aufnahmesession. Ob er wohl erwartete, dass sie die Nacht miteinander verbrachten? Es wäre nur eine weitere Absurdität. Würde sie sich darauf einlassen? Nein. Sicher nicht. Allerdings konnte in einer Nacht die Stimmung vollkommen umschwenken … Plötzlich beklommen, kramte sie in ihrer Handtasche: Sie hatte ihre Medikamente nicht dabei. Nicht einmal ihre Salbe. Wie würde sie sich verhalten, falls etwas geschah?
    Sie ließ sich ein Bad ein und kehrte ins Zimmer zurück, wo sie das kolossale Bett, die samtene Steppdecke, der Wandteppich mit einer Schäferszene erwarteten … Besser, man nahm die Sache mit Humor. Es lagen sogar zwei rote Rosen mit gekreuzten Stängeln auf dem Kissen.
    Im Bad lief das Wasser, im Nebenzimmer aber war alles still. Sie hängte ihren Mantel in den Schrank und machte sich daran, das Bett aufzudecken.
    Ehe sie die Decke zurückschlug, nahm sie die Rosen vom Kissen.
Mark stand am Fenster und beobachtete den Hof. Der Aufschrei aus dem Nebenzimmer ließ ihn zusammenfahren.
    Mit einem Satz war er drüben. Vor dem Bett stand Khadidscha – auf hohen Absätzen, die Schultern noch höher gezogen – und starrte wie versteinert auf den Bettüberwurf. Er folgte ihrem Blick, und was er sah, drehte ihm den Magen um.
    Augen. Auf der Steppdecke lagen zwei Augen.
Mark wusste, woher sie stammten. Von Vincents Gesicht mitden leeren Augenhöhlen. SEHEN IST NICHT GLEICH WISSEN. Er sah auch die beiden hingeworfenen roten Rosen. Aus der einen war ein blassrotes Fädchen Blut geronnen. Die Augen waren zwischen den Blütenblättern verborgen gewesen.
    Reverdis Willkommensgruß.
    Mark stürzte zur Tür und sperrte sie zweimal ab, eilte in sein Zimmer hinüber und verriegelte auch dort die Tür. Er kam zu Khadidscha zurück und nahm sie in die Arme. Sie zitterte so sehr, dass sie schwere- und körperlos schien.
    Unwillkürlich fiel sein Blick noch einmal auf das Bett. Jetzt sah er an der Kante des Lakens Blutflecken, die viel zu groß waren, um von den Augen herzurühren. Er dachte an das Schlachtfeld in Vincents Studio, an Reverdis Warnung. Auch hier war die Botschaft noch unvollständig.
    Er raffte die Überdecke zusammen mit dem oberen Laken und riss sie zurück; mit seiner ungestümen Gebärde fegte er Rosen und Augäpfel zu Boden.
    Blutige Buchstaben streckten auf dem Leintuch ihre Krallen aus:
VERSTECK DICH SCHNELL, PAPA KOMMT
KAPITEL 81
    »Was ist das, um Gottes willen, was hat das alles zu bedeuten?«Wortlos packte er sie an der Hand und zerrte sie mit sich. Sie riss sich noch einmal los, um ihre Handtasche aus dem Bad zu holen, während er die Tür aufsperrte. Dann rannten sie die Treppe hinunter und durch die Hotelhalle, wo der Empfangschef ihnen verblüfft hinterhersah.
    An der Eingangstür blieb Mark abrupt stehen. Er sah sich im erleuchteten Hof um. Scharf fasste er die geparkten Autos, die leise rauschenden Bäume ins Auge. Die Dunkelheit

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