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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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gab ja keine andere Lösung, davon war er inzwischen selbst überzeugt.
    Doch zuvor musste er ihr alles erklären. Heute Abend.
    Khadidscha studierte schweigend die Karte. In Wahrheit musterte sie verstohlen ihren Begleiter. Unter anderen Umständen hätte sie sich amüsiert. Schon die Tischdekoration war ein Leckerbissen für sich: fünferlei Besteck, Kerzen, die ein Spannungsmesser zu regeln schien, stoffbespannte Paravents, die jeden Tisch in ein Separee verwandelten.
    Ja, unter anderen Umständen hätte sie sich schief gelacht. Nicht an diesem Abend. Weil es Mark war, Mark höchstpersönlich, der ihr dieses kümmerliche Alibiabendessen servierte, diesen pathetischen Fallstrick spannte. Dabei kam ihr seit ihrer Abfahrt von Paris alles an ihm unecht vor, es stimmte einfach nichts – sein ostentativ heiterer Tonfall, der jähe Stimmungswandel ihr gegenüber, überhaupt diese Einladung. Er war sehr bemüht, schien aber in völlig anderen Sphären.
    Worum ging es ihm wirklich? Warum hatte er sie hierher gebracht?
    Eine Woche zuvor hätte dieser überraschende Ausflug sie in einen Glückstaumel gestürzt – oder in tiefste Verwirrung. Jetzt nicht mehr. Seither war einiges geschehen – der entsetzliche Abend der Buchpräsentation, an dem ihr Westentaschenathlet mit seiner blutigen Hand und seiner abweisenden Art böse abgestürzt war. Seither hegte sie ihm gegenüber eher Mitleid. Es war etwas Hartes und Unergründliches an ihm, ein Geheimnis, das wohl niemand lüften konnte. Ein Mann mit einer undurchdringlichen Rüstung – einsam, verzweifelt, unverständlich. Und dieser unselige Abend bestätigte sie in ihrem Eindruck.
    Sie beschloss, nicht lange um den heißen Brei herumzureden. »Also, was ist los? Du wolltest mir was sagen, oder?« Sie hatte ihn diese Frage schon im Auto gestellt, aber keineAntwort erhalten. Auch jetzt wich er ihr aus.
»Nein«, sagte er lächelnd. »Oder vielmehr ja, aber nicht jetzt.
Was isst du?«
Er hatte mit samtweicher Stimme gesprochen; doppelbödig.
Für wen hielt er sie, in Gottes Namen? Sie richtete den Blick wieder auf die Karte:
»Ich versteh nur Bahnhof, offen gestanden.«In amüsiertem Ton schlug Mark vor: »Nimm doch die ›Farandole aus Archenkammmuscheln in Wildjus an Hummerrogen, überstäubt mit Zitrusfruchtessenz‹!«Sie lächelte.
»Oder die ›Blau glasierte Poulardenbrust, serviert auf ihrenFüßchen‹?«
Sie ging gern darauf ein. »Ach, ich glaube, ich versuch’s doch lieber mit den ›Shiitake im irdenen Bräter‹«, sagte sie. »Nur zu verständlich. Aber dazu solltest du unbedingt die ›Chicoréeherzen in Wein-Confit‹ kosten.«
»Nicht zu vergessen die ›Stockentenblutwurst im Blätterteigmantel‹!«
Ihr einhelliges Gelächter ließ im Handumdrehen eine ganz und gar selbstverständliche Gemeinsamkeit zwischen ihnen entstehen – ein fröhliches, rückhaltloses Einvernehmen. Es war wie eine Galgenfrist. Wie ein letzter Schluck Schnaps im Schützengraben. Es war ihr klar, dass es nicht lang anhalten würde.
Tatsächlich sah sie gleich darauf, wie Marks Gesichtszüge entgleisten und er weiß wurde wie die Wand.
»Entschuldige bitte«, stieß er hervor. Sprang auf und verschwand.
    Er war sich ganz sicher.
    Er hatte ihn gesehen, vor sich im Fensterrahmen. Rasierter Schädel, langes, graues Gesicht. Sehr groß, ein Hüne. Kein Zweifel, es war Reverdi. Mark hastete quer durchs Restaurant. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte – er war nicht einmal bewaffnet. Aber er musste Gewissheit haben.
    Draußen auf der Freitreppe blieb er stehen wie am Rand eines Abgrunds. Forschend blickte er auf das beleuchtete Viereck des Innenhofs, die grauen Kiesel, atmete den Pilzgeruch herbstlicher Feuchtigkeit, lauschte dem Rascheln der Blätter. Nichts. Er kniff die Augen zusammen und spähte angestrengt in die Dunkelheit. Er sah niemanden. Es war eine Nacht auf dem Land, nicht mehr und nicht weniger bedrohlich als jede andere.
    Eine Hand legte sich auf seine Schulter.
Mit einem Schrei fuhr er herum, glitt dabei aber aus und taumelte mehrere Stufen abwärts, nur knapp vermied er den Sturz. In Verteidigungshaltung verharrte er im Lichtschein der Laterne.
Oben stand ein eleganter Herr und sagte mit entschuldigendem Lächeln: »Tut mir furchtbar leid, ich wollte Sie auf keinen Fall erschrecken. Ich bin der Hoteldirektor.«
Mark versuchte etwas zu erwidern, brachte aber keinen Ton heraus.
»Keine Angst: Unser Parkplatz ist Tag und Nacht bewacht.«
Er verstand kaum, was der andere

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