Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
Feuerzeug in der Hand. Im nächsten Moment wurde aus der Flamme eine kleine Feuerstelle. Mark wollte protestieren, doch Khadidscha kam ihm zuvor: »Sag jetzt bloß nicht, dass wir uns damit verraten.«
Mark blieb der Mund offen. Sie hatte Recht. Was wusste er von den Regeln der Jagd? Den Gesetzen des Kriegs? Draußen goss es in Strömen. Die Wolken hingen so tief, dass sie den Rauch aufnehmen würden, sobald er durch das Fenster entwich, das Khadidscha nach allerhand Widerständen aufstieß. Sie setzte sich wieder ans Feuer. Nun trat auch Mark näher, während sie die zaghafte Glut mit trockenem Kuhmist fütterte.
Weil sie trotz eines ersten Anflugs von Wärme vor Kälte immer noch zitterte, zog er seine Jacke aus und legte sie ihr um die Schultern – es war das Mindeste, was er tun konnte. Gleich darauf stand er wieder auf. In seinem Kopf rasten die Gedanken wirr durcheinander. Was tun? Sich auf die Belagerung vorbereiten, den Widerstand organisieren? Aber wie denn? Sie hatten ja nichts, keine Waffen, keine Verteidigung, keinen Proviant … »Jetzt setz dich endlich. Dieses Hin- und Hertigern macht mich wahnsinnig.«
Mark erstarrte, überrascht von ihrem autoritären Ton – und mehr noch von ihrer Gelassenheit. Unglaublich: Sie hatte gar keine Angst. Er ließ sich ihr gegenüber auf den Boden fallen. Zwischen ihnen knisterte der brennende Mist und stieß hin und wieder kurze, nervöse Flämmchen aus, die merkwürdig grünlich leuchteten.
»Ich höre«, sagte sie. »Ich will jetzt die ganze Geschichte wissen.«Er erzählte. Von der fremden Identität, die er sich angeeignet hatte, den ersten Briefen. Von dem Diebstahl des Fotos. Dem Pakt mit Reverdi. Seiner Reise entlang der »schwarzen Linie« zwischen dem Wendekreis des Krebses und dem Äquator.
    Dann von Reverdis Geheimnis, dem er auf die Spur gekommen war: dem schwarzen Blut.
Er erzählte in aller Ausführlichkeit, ließ kein Detail aus, immer noch und immer wieder fasziniert vom Ritual des Mörders. Beschrieb die systematischen Schnitte entlang dem Körper des Opfers. Den Honig und seine Funktion. Die hermetisch versiegelte Kammer. Und den letzten Akt.
Khadidscha hörte schweigend zu, die Arme um die angewinkelten Beine geschlungen, das Kinn auf den Knien. Sie starrte in die flüchtigen Flammen. Etwas in ihr weigerte sich, der Panik Raum zu geben. Offensichtlich war sie von einem Kaliber, dass sie diesem Wahnsinn standhalten konnte. Als Mark sie so ansah, musste er an die »Schubladenfrauen« in den Gemälden von Dalí denken, die ihr Geheimnis in den Winkeln und Nischen ihres Körpers bargen. Wo hatte Khadidscha die Quelle ihrer Kraft versteckt?
Er kam jetzt zur Gegenwart. Berichtete von Reverdis Flucht. Von dem Mord an Alain van Hêm, der einzigen Verbindung zu Elisabeth und ihrer Briefanschrift. Von dem rasenden Zorn, in den Reverdi geraten war, als er – wie nicht anders zu erwarten – in den Schaufenstern der Parfümerien Khadidschas Gesicht und den Roman Schwarzes Blut in den Buchhandlungen entdeckt hatte. Mark erklärte, wie er sich bemüht hatte, weiteren Katastrophen vorzubeugen, Vincent zu retten, sie, Khadidscha, zu beschützen … Er zögerte; dann gestand er die letzte grausige Entdeckung: den Tod des Fotografen.
Khadidscha schauderte, ohne die Augen vom Feuer abzuwenden. Sie stellte keine Fragen, doch er erriet von fern, dass etwas in ihr zusammenbrach, ein Fundament einstürzte. Mark sprach weiter. Er wollte ihr nichts mehr verheimlichen. Er beschrieb ihr Vincents Martyrium. Die Messerstiche. Die herausgerissenen Augen – die Augen auf der samtenen Steppdecke. Die verstreuten, zertretenen, blutbesudelten Fotos von Khadidscha. Und die Botschaft des Mörders: SEHEN IST NICHT GLEICH WISSEN.
Jetzt war Reverdi irgendwo dort draußen, in der Nähe der Scheune.
Von einem einzigen Wunsch beseelt: Rache.
Khadidscha schwieg noch immer. Mark blickte auf die Uhr. Es war ein Uhr morgens. Und noch immer kein Überfall, noch immer keine alarmierenden Anzeichen. Hatten sie ihn etwa abgehängt? Er entspannte sich ein wenig. Eine wohlige Wärme hüllte ihn ein. An den Geruch nach verbrannten Exkrementen gewöhnt man sich. Man gewöhnt sich an alles, auch an das Warten auf den Tod.
»Das Wichtigste hast du mir immer noch verschwiegen«, sagte Khadidscha auf einmal. »Warum? Wieso hast du dich überhaupt auf das alles eingelassen?«
Mark stammelte ein paar Worte, versuchte seine Beweggründe darzulegen, doch sie fiel ihm ins Wort: »Warum erzählst du mir nicht

Weitere Kostenlose Bücher