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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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goldenen Sprenkel in ihren Augen tanzten, als prägte sie sich jede Einzelheit seines Gesichts ein.
Endlich wandte sie den Blick ab, stand auf und spähte durchs Fenster. Draußen begann es zu tagen.
»Wir gehen jetzt zur Polizei. Bete zum Himmel, dass sie uns in Schutzhaft nehmen. Und bete vor allem, dass sie dich nicht ins Irrenhaus stecken.«
KAPITEL 82
    Beide Hände um das Lenkrad geklammert, saß sie am Steuer ihres Wagens.
    Er hatte ihr angeboten zu fahren, doch sie hatte abgelehnt – es war ihr Auto, und sie war die Fahrerin, Punktum. Zumal er nicht in besserer Verfassung war als sie.
    Um sechs Uhr morgens hatten sie sich aus ihrer nächtlichen Zuflucht in die graue Morgendämmerung hinausgewagt. Übernächtigt, zermürbt, schmutzig waren sie durch die taufeuchten Felder und Wiesen gewandert. Zwei in der Wildnis verirrte Großstädter, die sich gegenseitig stützten. Jämmerlich. Zumal das Hotel von ihrem Versteck nur ein paar Hundert Meter entfernt war: In ihrer Panik waren sie im Kreis gelaufen. Jämmerlich.
    Das Hotelpersonal hatte sich jeden Kommentars enthalten. Mark und Khadidscha wirkten wie ein Paar, das eine entsetzliche Nacht hinter sich hatte: ein Paar, das sich bis in die Morgenstunden auf Leben und Tod gestritten hatte und jetzt nach Paris zurückkehrte, wo jeder seine Wunden lecken konnte. Mark war in die Zimmer hinaufgegangen – sie hatte es nicht übers Herz gebracht, ihm zu folgen. Er hatte »aufgeräumt« und war wieder heruntergekommen, bleich, verschlossen, mit unergründlicher Miene. Nachdem er die Rechnung beglichen hatte – das im Preis inbegriffene Frühstück verschmähten sie –, waren sie zum Wagen gegangen. Ohne ein weiteres Wort.
    Als die Landschaft nach und nach wieder farbig wurde, nahmen auch Khadidschas Gedanken konkretere Gestalt an. Das Wichtigste war ihr, dass sie sich nicht in die Sache hineinziehen ließ, sondern sie selbst blieb: Ein Fels in der Brandung, dem ein Angriff von außen, so heftig und so verrückt er auch sein mochte, nichts anhaben konnte. Eine eisenharte Nuss, an der sich das Leben die Zähne ausbiss: Damit war sie schon immer durchgekommen. Es war eben die Fortsetzung des Kriegs.
    Mark fehlte diese Kraft, das spürte sie. Er kämpfte zwar, glaubte aber nicht mehr an den Sieg. Noch hielt er stand – ihretwegen, aus Pflichtgefühl, aus Notwendigkeit, doch ohne innere Überzeugung. Er war verurteilt. Hatte sich selbst verurteilt.
    Noch etwas wusste sie mit Sicherheit: Sie liebte ihn nicht mehr. Zu viele Gespenster verfolgten diesen Mann, zu viele negative Schwingungen gingen von ihm aus – selbst für ihre Begriffe. Er war das wandelnde Verhängnis. Trotzdem tat er ihr leid, und sie wollte ihn nicht im Stich lassen. Dem eigenen Schicksal entgeht man nicht: Statt wütend auf ihn zu sein, wie er es verdient hätte, war sie weiterhin bereit, sich um ihn zu kümmern, wie sie sich, jahrelang, um den Dreckskerl gekümmert hatte, der ihr Vater war.
    Sie erreichten Paris. Porte d’Orléans. Avenue du GénéralLeclerc. Alésia.
Eines der wichtigsten Polizeireviere von Paris ist das Kommissariat im 14. Arrondissement, in der Avenue du Maine. Wie selbstverständlich hatte Khadidscha diese Polizeistation angesteuert, nicht nur weil sie auf dem Weg lag, sondern weil sie selbst als junges Mädchen im Zuge einer der araberfeindlichen Polizeirazzien am Samstagabend schon mehrmals hier gelandet war.
Sie parkte genau gegenüber auf der anderen Straßenseite, vor dem Restaurant La Marée. Mark konnte sich nicht entschließen auszusteigen.
Resolut drehte sie sich zu ihm: »Das oder Reverdi, was ist dir lieber?«Mark sah auf die Uhr: Seit fast einer Stunde saßen sie hier auf einer Bank und warteten. Der Saal platzte aus allen Nähten – Bullen, Ganoven, Bürger, die Anzeige erstatten wollten, alles schob sich durcheinander. Die Verhaftungen vom Vortag, einem normalen Freitagabend im Viertel Montparnasse, mussten abgearbeitet werden, und es herrschte ein beträchtlicher Lärm.
    Aus den Zellen wurden immer wieder Verdächtige mit Handschellen herausgeführt, die die Nacht in Polizeigewahrsam verbracht hatten; die einen durchquerten den Raum schweigend und mit gesenktem Kopf, die anderen protestierten lauthals, bis sie in einem der angrenzenden Büros verschwunden waren. Es gab auch die »ehrbaren Leute«, die an der Empfangstheke Gerechtigkeit forderten, als bestellten sie ein Bier vom Fass. Und dazwischen die Polizisten, die, in Uniform oder Zivil, des morgendlichen Chaos

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