Das schwarze Blut
wieder näher kam. »Und so immer weiter.« Er ließ seinen schwarzen Blick über den Hof hin wandern. »Keinen einzigen Schweißfleck will ich auf diesen Scheißmauern mehr sehen.«Reverdi stand auf und blickte dem Aufseher in die Augen. Auf Malaiisch zischte er:
»Jetzt hast du einen Punkt verloren, Alter.«
Mit blitzschneller Geste holte Raman aus und ließ den Schlagstock auf Reverdis nackten Oberkörper sausen. Der hatte gerade noch Zeit, die Arme anzuwinkeln, um seine Rippen zu schützen.
»Ich bin es, der hier die Punkte zählt!«
Reverdi weigerte sich, den Blick zu senken. Raman hob abermals den Schlagstock, doch dann lächelte er plötzlich mit seinen zu weißen Zähnen, als wäre ihm eine andere Gemeinheit eingefallen.
»An dem Tag, an dem sie dich hängen, du Aas, wirst du niemanden mehr so dreist anstarren. Dann stülpen sie dir die Kapuze über, und das ist das Letzte, was du spürst.«
Jacques nickte bedächtig. »Du weißt ja, dass die Gehenkten einen Ständer kriegen wie ein Bock? Dann kannst du mir endlich einen blasen, Süßer.«
Wieder fuhr der Knüppel herab. Im letzten Moment wich Reverdi zur Seite, und der Schlag erwischte ihn am Hals. Sein linkes Schlüsselbein gab ein hörbares Knacken von sich. Der Schmerz schoss schräg durch ihn hindurch und prallte vom Schulterblatt ab. Reverdi taumelte zurück, wankte, hielt sich jedoch auf den Beinen. Mit tränenden Augen, aber lässiger Geste warf er seine Bürste in den Eimer.
»Wenn ich hier weg bin«, sagte er, »ist deine Autorität beim Teufel, das schwör ich dir.«
Ramans Daumen lag schon auf dem Knopf, mit dem er an seinem Schlagstock den Strom einschalten konnte, doch er hielt sich zurück. Die anderen Häftlinge kamen näher. Alle Augen waren auf die beiden Kontrahenten gerichtet, und der Innenhof bebte von einer vagen Hoffnung: Man erwartete einen Zweikampf auf höchster Ebene, ein Duell zweier Riesen – der eine weiß, der andere schwarz.
Doch der Wärter war nicht so verrückt, ein derartiges Risiko einzugehen. Er hängte den Schlagstock wieder an seinen Gürtel, wandte sich ab und ging wortlos davon. Sein Gang war so abgezirkelt, so mechanisch, dass es aussah, als hinkte er. Mit zunehmender Entfernung löste sich seine Gestalt in der weißen Hitze auf.
Elf Uhr vormittags. Jacques stemmte seine Gewichte. Bei jeder Bewegung durchfuhr ihn derselbe stechende Schmerz, der vom Schlüsselbein ausging. Gebrochen oder nicht? Statt einer Antwort stemmte er seine Bausteine. Er wollte den einen Schmerz durch einen anderen auslöschen, durch das Leiden, das er sich freiwillig zufügte, indem er seine Muskeln quälte.
Jemand sprach ihn an. Reverdi hielt inne, auf seiner Bank ausgestreckt, die Arme angewinkelt, und fragte sich, wer es wagte, ihn in diesem Augenblick zu stören. Er spannte die Muskeln an, legte langsam seine Gewichte ab und richtete sich schweißtriefend auf.
Der tengku.
Reverdi hätte es sich denken können. Nur dieser Knabe war unbedacht genug, ihn aus seinem Training zu reißen. In dermalaiischen Sprache drückt tengku eine königliche Stellung aus – eine verwandtschaftliche Beziehung, und sei sie noch so entfernt, mit einem der neun Sultane des Landes. Hadschdscha Elahe Nouma gehörte zur Familie des Sultans von Perak. In Kanara saß er wegen Drogenhandels. Man hatte vierhundert Gramm Heroin bei ihm gefunden. Dass ein Mitglied der königlichen Familie je ins Gefängnis kam, war eigentlich undenkbar: Normalerweise ließ sich das Problem mit einem kurzen Anruf regeln. Diesmal aber wollte der Vater dem Sohn eine Lektion erteilen und ließ ihn mehrere Monate in Kanara schmoren – in der Hoffnung, ihm damit ein für alle Mal die Lust an Dröhnungen aller Art auszutreiben.
»Stör ich?«, fragte der Knabe auf Englisch.
Reverdi langte nach seinem T-Shirt, ohne zu antworten. Als er sich anzog, durchzuckte ihn wieder ein scharfer Schmerz. Kein Zweifel: Das Schlüsselbein war entzwei. Scheiße.
Hadschdscha ließ sich vor ihm auf dem heißen Beton nieder. Er war ein anmutiger junger Mann mit langem Hals und kupferfarbener Haut, Absolvent mehrerer englischer Universitäten, doch der Drogenmissbrauch hatte sein Hirn erweicht. Seine Augen, schwarz und rund und leicht vorstehend wie Straußenaugen, waren völlig starr. Vielleicht erforschte sein Blick einen unsichtbaren Aspekt der Welt.
»Was willst du?«
»Ich möchte …«
Der tengku druckste herum.
»Spuck’s aus.«
Reverdi ertrug den Gedanken nicht, dass etwas in seinemKörper
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