Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
bat ihn also um Verzeihung und versicherte ihm, sie sei auf alles gefasst, wolle alles hören: »Der Abgründe sind viele, in uns Menschen ebenso wie auf dem Grund der Meere. Und alle interessieren mich.« Beinahe hätte er laut gelacht.
    Eines hatte die Tussi noch immer nicht kapiert.
Nicht er würde Geständnisse machen.
Sondern sie.
KAPITEL 19
    Khadidscha wusste, dass es nur ein Traum war.
Aber solange sie träumte, erlebte sie die Szene wie eine Erinnerung.
    Sie stand vor einer verschlossenen Tür, einer elenden Sperrholztür, die man mit einer Schulter hätte eindrücken können. Doch für Khadidscha war sie ein heiliges Portal, eine verbotene Schwelle, von der eine geheimnisvolle Wärme ausging. Hinter der Tür hörte sie das Knistern von Feuer. Trocken, klar, wie brennende Akazienzweige in einem Kamin.
    Khadidscha trat noch näher heran. Im selben Augenblick barst die Tür nach innen, als wäre sie eingesaugt worden, und ein glutheißer Sturm fuhr ihr ins Gesicht, eine rote Bombe, die ihr vor den Augen explodierte, sie aber nicht verbrannte.
    Sie sah das brennende Zimmer, rundum lodernde Flammen. Rauchschwaden quollen aus dem Boden. Von der Tapete lösten sich brennende Fetzen. Sämtliche Gegenstände schienen in diesen Untergang mitgerissen zu werden, eingesogen von gierigen Kiefern: die Nachttischlampe, die Decken, Kleidungsstücke … Khadidscha trat einen Schritt vor und kniff die Augen zusammen, um die Gestalten am Fuß des Bettes besser zu erkennen.
    Der sitzende Mann war ihr Vater. Er schien auf einen Arzt zu warten. Oder auf den Totengräber. Er stand in Flammen, und von seiner Haut stiegen dunkle Ausdünstungen auf. Er sah aus, als dächte er konzentriert nach, obwohl sein Gesicht nur noch ein unkenntliches, prasselndes schwarzes Gebilde war. Khadidscha hatte bei seinem Anblick ein flaues Gefühl im Magen, ein Unbehagen, das in keinem Verhältnis zu dem Grauen stand, das sie eigentlich hätte empfinden müssen. Eine Art Lampenfieber, als müsste sie im nächsten Moment ein Podium betreten, um einen Preis entgegenzunehmen.
    Eine Stimme flüsterte: »Hab keine Angst. Er will dir was sagen.« Sie drehte sich um und sah, dass die Person, die sie angesprochen hatte, ebenfalls in Flammen stand. Es war ein Mann mit kahl rasiertem Schädel, er trug eine Toga, und sie erkannte ihn wieder: Es war der vietnamesische Mönch, der sich öffentlich verbrannt hatte, im Lotussitz auf dem Gehsteig; sie hatte sein Foto gesehen. Jetzt stand er, war aber kahl wie auf dem berühmten Foto und brannte lichterloh. Seine Augenhöhlen waren schon leer, nur seine Zähne, die sehr weiß waren, weigerten sich, Feuer zu fangen. Er legte Khadidscha eine Hand auf die Schulter, und die Berührung beruhigte sie. Sie hatte gar keine Angst mehr, und als sie auf das Bett zusteuerte, merkte sie, dass sie auf einem wogenden roten Meer dahinschritt.
    Sie setzte sich ihrem Vater gegenüber wie an ein Krankenbett. Er aber starrte sie aus zwei Vulkankratern anstelle der Augen voller Abscheu an.
    »Ich hab Sand im Hirn.«
Khadidscha prallte zurück. Der Mann fing zu schreien an, Flammen schlugen aus seinem Mund:
»Ich hab Sand im Hirn! Daran bist du schuld!«Er streckte den Arm aus, der schwarz und starr war wie ein verkohlter Ast, und Khadidscha sah die Spritze in der Armbeugestecken. Dieses Bild war das absurdeste von allen – seit Jahren hatte ihr Vater nicht mehr in den Arm gefixt.
    »Daran bist du schuld«, sagte er noch einmal. Auch seine Stimme knisterte, doch wie bei dem Mönch war hinter den Rauchwolken seines Atems der Zahnschmelz weiß und intakt.
    »Du hast die Watte nicht sauber gemacht!«Khadidscha sprang entsetzt auf, und die knarzende Stimme sagte:
»Da war Sand drin. Sand in der Watte. Du bist schuld!« Khadidscha wollte sich rechtfertigen, doch ein brennenderWattebausch legte sich auf ihren Mund, und durch das Prasseln der Flammen hörte sie immer wieder die Stimme zischen: »Du bist schuld!« Wieder versuchte sie zu antworten, doch der Knebel verbrannte und erstickte sie gleichzeitig, und ihre Worte drangen nicht über die Schwelle ihres Bewusstseins: »Das stimmt nicht … ich hab’s so gemacht wie immer … alles sauber gemacht …«Mit einem jähen Aufbäumen fuhr Khadidscha aus dem Schlaf. Ihr Kissen war nass von Schweiß und Tränen.
Der Gestank nach Verbranntem steckte ihr noch in der Kehle,und sie brachte keinen klaren Gedanken zustande. Sie streckte einen Arm aus dem Bett und spürte die Kühle der Tonfliesen unter

Weitere Kostenlose Bücher