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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Drahtbürste, neben sich einen Eimer Wasser mit Desinfektionsmittel, und mühte sich, das Unauslöschliche auszumerzen: die Spuren von menschlichem Schweiß und Schmutz, die in die Mauern des Innenhofs eingedrungen waren und sich wie fossile Einschlüsse tief in den Betonboden eingegraben hatten. Allen Anstrengungen zum Trotz wurden die Flecken nicht weniger. Man hätte hobeln, feilen, den Stein mit einer Schleifmaschine bearbeiten müssen, um irgendeine Wirkung zu erzielen.
    Über ihm stand mit gespreizten Beinen, die Daumen in den Gürtel gehakt, Raman und sah ihm zu. Zwischen zusammengebissenen Zähnen stieß der Wärter Flüche hervor: Der Schlagstock, versprach er, werde seinen Worten bald Taten folgen lassen.
    Reverdi ließ es kalt. Weder Beleidigungen noch körperliche Schmerzen konnten ihm etwas anhaben. Er musste an ein Stück Glas denken: Worte und Schläge gingen durch ihn hindurch, wie Licht durch eine Glasscheibe fällt. In solchen Augenblicken wurde er zum Prisma, zerlegte das Spektrum seiner Reaktionen und sortierte diejenigen aus, die ihn schwächen konnten: Scham, Schmerz, Furcht …» Celaka punya mat salleh! « Weißer Bastard.
    Ein Fußtritt traf ihn in die Seite. Seine Haut brannte derart, dass er den zusätzlichen Schmerz kaum spürte. Ein zweiter Trittging in der quälenden Hitze unter. Reverdi warf einen kurzen Blick über die Schulter: Raman hatte sich abgewandt und patrouillierte wieder durch den Hof. Er biss die Zähne zusammen, packte die Bürste fester und zeichnete im Geist das Porträt des Mannes, dem er seit seiner Ankunft in Kanara aus dem Weg zu gehen versuchte.
    Abdallah Madhuban Raman, zweiundfünfzig Jahre alt, Vater von fünf Kindern und strenggläubiger Muslim, war der Inbegriff von Herrschsucht und Sadismus. In der kambodschanischen Strafvollzugsanstalt hatte Reverdi Funktionäre der Grausamkeit kennen gelernt, Aufseher, die Brutalität als wesentlichen Bestandteil ihrer Aufgabe betrachteten. Mit dieser gemäßigten Version des Gefängniswärters hatte der hier allerdings nichts gemein: Raman stand auf Leiden. Das Leiden anderer törnte ihn an. Er war ein echter Psychopath, gefährlicher als alle in Kanara einsitzenden Mörder zusammen.
    Er war Malaie mit tamilischem Blut in den Adern. In seinem schwarzen Gesicht klafften zwei Nasenlöcher, die an die Nüstern eines Stiers erinnerten. Seine Augen waren noch schwärzer als seine Haut, und sein flaches, von tiefen Kerben zerfurchtes Gesicht zeigte eine gewisse Ähnlichkeit mit den australischen Aborigines.
    Mit einem Meter fünfundachtzig war er außergewöhnlich groß für einen Malaien. Trotz der Hitze trug er ständig eine taillierte und mit Litzen besetzte dunkle Jacke, die sich im Rücken in zwei steife Schöße teilte. Am Gürtel hing sein Waffenarsenal – Knarre, Elektroschocker, Tränengasbombe, Schlüssel … Man erzählte sich, er habe einem Häftling ein Auge ausgestochen – mit dem Schlüssel zur letzten Tür, der Tür in die Freiheit.
    Von fanatischer Religiosität, gehörte er der verbotenen Sekte Al Arqam an, war daneben aber homosexuell und dauergeil. Éric hatte Reverdi ja gewarnt, doch Ramans Lüsternheit übertraf die schlimmsten Erwartungen: Der Saukerl hatte tatsächlich nichts anderes im Kopf. Er hatte sich mit einer Bande von seinesgleichen umgeben – Aufsehern derselben sexuellen Prägung, harten Burschen, die für kraftstrotzende Männerkörper und Kampfsport schwärmten, mit Begeisterung quälten und prügelten und sich von Raman mit Frischfleisch entlohnen ließen. Bei dem Gebrüll, das am Spätnachmittag von den Duschen her kam, hielten sich die Insassen von Kanara die Ohren zu. Aber Éric hatte sich geirrt, was die Behandlung der Opfer betraf: Sie wurden nicht vergewaltigt, nur geschlagen – bis hin zur Bewusstlosigkeit. Berauscht vom Blutgeruch, trieben es die Aufseher dann miteinander.
    Nach solchen Orgien wankte der oberste Folterknecht geblendet von der Sonne und niedergedrückt von Schuldgefühlen als Erster aus dem verfluchten Gebäude heraus. Mit angehaltenem Atem und voller Furcht vor weiteren Repressalien beobachteten ihn die Häftlinge aus der Ferne.
    »Schluss!«, schrie Raman hinter ihm. »Genug für heute.« Jacques war von Anfang an klar gewesen, dass er dieVorzugsbehandlung seiner prominenten Stellung verdankte – er war schließlich der Star aus dem Westen. Mit dem Frondienst an diesem Morgen fing der Spaß an.
    »Morgen ist die nächste Mauer dran«, schnauzte der Wärter, der

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