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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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verschlossen blieb. Im Schneidersitz ließ er sich nieder und griff in den schon aufgeschlitzten Umschlag.
    Im Geist befahl er dem Blatt, ihn nicht zu enttäuschen.
Paris, den 29. März 2003Lieber Jacques, Ihr Brief hat mich hellauf begeistert. Dass Sie meine wahre Absicht erfasst, dass Sie meine Aufrichtigkeit gespürt haben, macht mich überglücklich!
Heute verlangen Sie Beweise der Offenheit. Ohne zu hinterfragen, was das bedeutet, antworte ich Ihnen: »Alles, was Sie wollen!«
Sie brauchen mich nur zu fragen, ich werde keinerlei Geheimnis vor Ihnen haben. Aber ich warne Sie: Ich bin nur eine durchschnittliche, unauffällige Studentin, eine Pariserin, die für ihr Studium lebt und ihre Mitmenschen zu begreifen versucht. An mir selbst ist leider nichts Weltbewegendes. Doch wenn diese Selbstentblößung tatsächlich eine Brücke zwischen uns schlagen kann, dann will ich Ihnen alles sagen, natürlich! In der Hoffnung, dass Sie mir danach Ihrerseits den einen oder anderen Schlüssel zu Ihrer Persönlichkeit geben. Darf ich das hoffen? Darf ich den Traum hegen, dass auch Sie mir eines Tages etwas von sich preisgeben werden? Jacques, lieber Jacques, ich warte auf Ihre Fragen. Ich kann es kaum erwarten, Ihren Brief zu empfangen, Ihre Handschrift zu sehen, die mir, indirekt, von mir erzählt. Von uns. Ich erwarte Ihren Brief. Und um ehrlich zu sein, ich erwarte mehr als das.
    ElisabethReverdi betrachtete den feuerrot leuchtenden Himmel durch die Fensterluke. Die Wärme des Briefs breitete sich in ihm aus. Ein Schwall Leben floss durch seine Adern und drang bis in die kleinsten Fasern seines Körpers vor. Ein Hauch von Glück.
    Wieder gratulierte er sich zu seinem feinen Gespür. Immer war er das Raubtier, das sich seine Beute aussuchte. Er würde von diesem Mädchen alles bekommen, was er wollte. Und abgesehen von der Übertretung, der Indiskretion, die damit einhergingen, versprachen ihre Geständnisse sogar recht interessant zu werden …Er würde in ihr Innerstes eindringen.
Und die Farbe ihres Blutes herausfinden.
»Geht’s Ihnen nicht gut? Was ist los?«Jacques Reverdi konnte nicht antworten. Er krümmte sich auf dem Stuhl, stemmte sich gegen den Tisch, und der Schmerz fuhr ihm wie eine glühende Sonde durch den Bauch. Er dachte an die Jäger des hohen Nordens, die den Füchsen glimmende Holzscheite in den After schieben, um das Fell nicht zu ruinieren.
    Jimmy beugte sich über den Tisch:
»Was ist denn … Soll ich einen Arzt rufen?«
Reverdi sackte über seinen Ketten zusammen. Bis zumBesuchsraum hatte er noch durchgehalten, aber jetzt …»Nein«, keuchte er. »Ein Durchfall. Das … das hört überhaupt nicht mehr auf. Ich hab’s ohne Zwischenstopp in der Latrine nicht mal bis hierher geschafft. Ich …«Der Rest des Satzes verröchelte in einem Stöhnen. Jimmy umrundete den Tisch. Reverdi warf einen Blick über die Schulter, sah den Wärter noch zögern und wusste, dass er Zeit hatte. Sofort gab er den jammernden Tonfall auf und murmelte:
    »Im Flur. Die Klos.«
Jimmy zuckte zusammen: »Wa … was?«
»Das dritte Klo links von der Tür«, befahl Reverdi gedämpft. »Hinter der Spülung. Da ist ein Brief.«
»Was erzählen Sie da?«
Reverdi packte ihn mit einer Hand am Revers und drehte sichso zur Seite, dass der Wärter nur seinen Rücken sehen konnte. »Kapier’s endlich, Hurensohn. Ich habe gestern extra cili podi
    gefressen, um in diesen Zustand zu kommen. Um vor dem Besuchsraum noch mal im Klo zu verschwinden.«»Sie wissen genau, dass ich nicht …«
»Halt’s Maul. Wenn du hier rausgehst, machst du’s wie ich. Du gehst pissen. Nimmst den Brief. Versteckst ihn in deiner Hose. Das dritte Klo links.«
»Was soll ich damit machen?«
»Du schickst ihn von deinem Büro in Kuala Lumpur ah. Unter den Bedingungen, die ich dir gleich erklären werde. Die Adresse steht drauf.«
Reverdi ließ den Anwalt los. Ein heftiger Krampf packte seineEingeweide, die scheußliche Geräusche von sich gaben – wie brutzelnde Nieren in der Pfanne. Er konnte nicht garantieren, dass nicht im nächsten Moment ein Malheur passierte, hier, mitten im Besuchsraum. Verdammte Chilischoten.
    »Das ist nicht korrekt«, wagte Jimmy einzuwenden. »Was ist schon korrekt«, fragte Reverdi und kniff den Hintern zusammen. »Dass du kleine Mädchen vögelst vielleicht?«»Wenn Sie glauben, Sie könnten mich erpressen, dann …« »Du wirst tun, was ich dir sage, basta.«
Der Anwalt fuhr sich mit einem Finger in den Hemdkragen.
    »Was ist, wenn

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