Das schwarze Blut
nie. Sie trank zwei Sake hintereinander und rief sich das Bild in Erinnerung – den Mann, der heimlich ihr Foto einsteckte. An diese Szene geklammert wie an einen Fallschirm, rutschte sie zu ihm hinüber, während die Gesellschaft sich mühsam von dem niedrigen Tisch aufrappelte.
»Mark, was ich Ihnen sagen wollte …«
Mit einer sonderbar ruckartigen Bewegung des Halses fuhr er auf.
»Was?«, fragte er.
»Ich hab mir einen Limier gekauft. Um eine Vorstellung zu bekommen.«
»Sie haben anscheinend zu viel Zeit.«
Immer dieser sarkastische Ton. Auf einmal fand sie ihn völlig verkrampft und bescheuert. Aber für einen Rückzieher war es zu spät.
»Im Gegenteil«, sagte sie. »Es war sogar sehr … interessant. Aus soziologischer Sicht.«
Er nickte skeptisch. Offensichtlich missfiel ihm diese Unterhaltung. Die Situation war absolut lächerlich: sie auf allen vieren und er noch immer auf dem Boden sitzend.
»Ich würde gern mal mit Ihnen reden«, fuhr sie fort. »Wissen Sie, von der Modelsache abgesehen, arbeite ich an einer Dissertation in Philosophie. Ich schreibe über den Inzest. Sie haben bei Ihren Ermittlungen doch sicher …«
»Tut mir leid. Zurzeit arbeite ich nicht für den Limier. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen einen Kollegen nennen.«
Khadidscha spürte einen Zorn aufwallen. Sie setzte sich mit gekreuzten Beinen vor ihn hin und fragte ihn rundheraus:
»Sind Sie jetzt bei einer anderen Zeitung?«
»Wird das ein Verhör, oder was?«
»Entschuldigung.«
Er rang sich zu einem Lächeln durch:
»Nein. Ich bin es, der sich zu entschuldigen hat. Ich habe einfach kein Benehmen.« Er warf die Haare aus der Stirn. »Ich muss demnächst verreisen.«
»Wegen einer Reportage?«
»Sozusagen. Private Recherchen eher.«
»Für ein Buch?«
»Es ist noch zu früh, um darüber was zu sagen.«
Je mehr er redete, desto weniger sagte er. Khadidscha machte es ein perverses Vergnügen, nach seinem Geheimnis zu bohren:
»Werden Sie lange fort sein?«
»Weiß ich noch nicht.«
»Wo fahren Sie hin?«
»Sie sind wirklich neugierig. Tut mir leid, aber es geht um was … Persönliches.«
Sie hätte ihn am liebsten geohrfeigt, beherrschte sich aber und fragte leise:
»Vielleicht können wir uns vor Ihrer Abreise noch mal treffen?«
Mit einem Satz, der überraschend geschmeidig, fast katzenartig war, sprang er auf.
»Im Prinzip gern. Aber die Zeit ist zu knapp.«
Er mischte sich unter die Leute und war bald in Stimmengewirr und Rauchschwaden verschwunden – ohne einen Blick zurück, ohne ein Abschiedswort. Auch Khadidscha erhob sich – wie vom Donner gerührt. Die Leere in ihr wog tonnenschwer und ließ sie bis in die Fingerspitzen erstarren.
Warum dieses Verhalten? Hatte sie die Szene, wie er ihr Foto einsteckte, nur geträumt? Hatte er ganz andere Gründe dafür gehabt? War er vielleicht ein Fetischist? Ein Irrer? Oder hatte er gemerkt, was mit ihr los war, und hielt sich instinktiv von ihr fern?
Bei diesem Gedanken fühlte sie sich verloren, wie von einem Flammenkreis umzingelt. Über das Prasseln des Feuers hinweg schrie eine Stimme:
»Ich hab Sand im Hirn! Daran bist du schuld!«
KAPITEL 31
Was für eine Nervensäge!
Mit langen Schritten eilte er die Rue des Saints-Pères entlang. Du lieber Himmel, was wollte dieses Mädchen von ihm? Sie hatte ihn geradezu belästigt. Und diese Fragen nach seiner Reise! Als ahnte sie, was er vorhatte …Mark hatte sich entschieden, zu Fuß nach Hause zu gehen, um seine Nerven zu beruhigen, aber noch auf der Place du Louvre bebte er vor Wut. Ohne einen Blick für die Schönheiten der Nacht – die funkelnde Pyramide, die Galerien, die sich in langen Reihen bläulicher Bögen abzeichneten – überquerte er den Platz, die Augen starr auf den Asphalt geheftet.
Khadidschas Anwesenheit hatte ihn in erhebliche Unruhe versetzt. Das Essen war die reine Tortur gewesen – ständig hatte er gespürt, wie die Frau ihn beobachtete, wie sie ihn abschätzte. Am Schluss musste sie auch noch zu ihm herüberkommen und ihn anreden! Und zu allem Überfluss war sie leider nicht das übliche angehende Model, nichtssagend und dümmlich, für das er sie gehalten hatte, sondern eine Intellektuelle. Ihr Verhalten war ihm ein Rätsel. In einer anderen Raumzeit hätte er vermutet, dass sie ihn anmachen wollte.
An der Place du Palais-Royal beruhigte ihn ein wenig der Anblick der vor ihrer dunklen Umgebung ausgeleuchteten Comédie-Française. Zwei Uhr morgens. Ein lauer Wind wehte durch die Pariser Nacht, wie um die
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