Das schwarze Blut
kunstvoll ziselierten Fensterläden einer Moschee erinnerten.
In der Nähe des Parkplatzes sah Mark die ersten Patienten, die auf dem Rasen umherirrten: kahl geschorene Gestalten mit dunkler, sonnengegerbter Haut. Alle trugen den gleichen grünen Kittel, den er auch an Reverdi in der Videoaufnahme gesehen hatte, und im strahlenden Sonnenlicht wirkten sie noch dunkelhäutiger. Ausdruckslose Gesichter und leere, wie von der gleißenden Sonne eingedrückte Blicke.
Das Gebäude besaß einen weiträumigen Innenhof. Eine arkadengesäumte Galerie, die rings um das Gebäude lief, führte in Flure, Amtszimmer und Säle. Der gesamte Bau bestand aus bemaltem Beton, der von Sonne, Regen und Hitze so verwittert war, dass die Farbe abblätterte.
Sie gingen einen Gang entlang, in dem diverse Schilder verkündeten, dass man sich im FORENSIC WARD befand, der Abteilung für psychisch gestörte Straftäter. Sie kamen an einem Büro vorbei, das nichts weiter enthielt als einen einfachen Holztisch an einer Wand und Stöße vergilbter Akten, die auf dem Boden zu einer langen Reihe gestapelt waren.
Unter Aufsicht eines Wärters wurde hier ein Patient von einem Arzt befragt. Die beiden saßen einander am Tisch gegenüber, und es war klar, wer der eine und wer der andere war: weißer Kittel auf der einen Seite, Handschellen auf der anderen. Mit unverändert strahlendem Lächeln wechselte Frau Dr. Norman einige Worte auf Malaiisch mit dem Arzt und drehte sich dann zu Mark um:
»Ein Neuankömmling«, erklärte sie. »Ein Algerier. Offenbar spricht er Französisch.«
Sie beugte sich zu dem Häftling hinunter, deutete auf Mark und sagte auf Englisch: »Dieser Herr kommt aus Paris. Sie können Französisch mit ihm sprechen, wenn Sie möchten.«
» No way « , antwortete der Algerier trotzig.
Er hatte ein knochiges Gesicht und sehr tief liegende Augen. Mark fiel auf, dass er auch an den Füßen Ketten trug. Die Psychiaterin wandte sich wieder zur Tür.
»Wie Sie möchten«, sagte sie. »Ich dachte, es würde Sie vielleicht freuen.«
Mark wollte ihr folgen, als er das Wort » patron … « hörte und sich noch einmal umdrehte. Der Algerier grinste ihn mit einem Verhau schiefer Zähne an. Seine Augen glühten in den tiefen Höhlen. Mit einer Kopfbewegung zu der Psychiaterin hin sagte er auf Französisch: »Wenn ich dieser da die Pussi rausgeschnitten hab, essen wir sie gemeinsam auf.« Er zwinkerte ihm zu.
»Hast du sie lieber roh oder gekocht?«
Mark wandte sich wortlos ab. »Roh oder gekocht?« Er holte die Ärztin ein, die bereits um die Ecke bog. Sie durchquerten einen Speisesaal und kamen dann in einen weiteren Flur, in dem sich verriegelte Zellentüren aneinander reihten. Keine Menschenseele war zu sehen. Am Ende des Flurs öffnete ihnen ein Wärter eine Tür.
Sie betraten einen großen Saal, der im Halbdunkel lag – die Vorhänge waren zugezogen. Mark brauchte eine Weile, bis seine Augen sich an das Zwielicht gewöhnt hatten. Schließlich erkannte er einen riesigen Schlafsaal mit mindestens fünfzig Betten; an der Decke drehten sich gemächlich mehrere Ventilatoren. Der Eindruck von Ruhe und Stille war hier besonders stark. Irgendwo lief leise ein Fernseher. Viele Männer schliefen, andere schlurften durch die Gänge zwischen den Betten. Auffällig war, dass die Insassen hier keine grünen Kittel trugen, sondern Alltagskleidung.
»Warten sie auf ihre Freilassung?«, fragte Mark halblaut.
»Im Gegenteil, diese hier kommen nie mehr frei. Sie wurden von amok befallen.«
»Wie bitte?«
»Amok. So nennt man in Malaysia den Zustand blindwütiger Raserei und Mordlust. Der junge Mann dort drüben, der in dem weißen T-Shirt, hat seiner kleinen Tochter die Augen ausgestochen, damit sie nicht mehr fernsieht. Der andere, sein Bettnachbar, hat seine Frau umgebracht, zerstückelt und die Teile im vierten Stock aus dem Fenster geworfen. Dieser da, ganz hinten, hat …«
»Schon gut, ich hab verstanden.«
Frau Dr. Norman lächelte ihn mit weißen Zahnreihen an:
»Sie müssen genial sein. Ich befasse mich seit zwanzig Jahren mit dem Phänomen und verstehe es noch immer nicht.«
Sie gingen weiter. Sie drückte Hände, lächelte jeden an, neigte ihr verschleiertes Haupt bald diesem, bald jenem zu und fühlte sich sichtlich wohl. Eine echte UNESCO-Botschafterin. Hinter einem Vorhang am Ende des Saals verbarg sich ein weiterer Raum, eine Computerwerkstatt, in der statt Betten mehrere Bildschirme standen. Dort nahmen sie auf einem Kanapee in einer Ecke
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