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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Morgen hatte Mark ein Auto gemietet – einen Proton, den Standardwagen in Malaysia, der das Steuer rechts hatte. Er fuhr an den Hochhäusern des Stadtzentrums vorbei Richtung Norden. Die Vororte zogen sich schier endlos hin, Wohnviertel wechselten sich mit Parks ab, und in der Morgendämmerung schienen die Hügel in der Ferne über dem Horizont zu schweben.
    Mark fuhr auf die Autobahn, die so genannte Express 1, und tauchte in eine neue Welt ein, in düstere Kautschukplantagen, deren Bäume in schnurgeraden Reihen aus der roten Erde wuchsen. So legte er hundertfünfzig Kilometer zurück, immer exakt nach Norden; unterwegs traf er auf felsige Bergkuppen, indische Tempel, die mit allerlei Tand geschmückt waren, und Moscheen mit grün gekachelten Kuppeldächern – eine ideale Landschaft, um seinen Gedanken nachzuhängen.
    Am Morgen hatte er eine Nachricht von Jérôme erhalten. Der Archivar hatte nichts herausbekommen, weder eine Information über die Identität von Reverdis Erzeuger noch einen Hinweis darauf, dass sich Reverdi selbst beim Standesamt nach seinem Vater erkundigt hätte. Eine Sackgasse.
    Bei der Ausfahrt 132 fuhr er von der Autobahn ab. Auf einer zweispurigen Bundesstraße, auf der sich trotz Gegenverkehr alle so benahmen, als wäre es eine Einbahnstraße, ging es weiter in Richtung Tapah. Immer mächtiger, immer majestätischer erhoben sich die Hügel und türmten sich schließlich zum Gebirge.
Mark sah ein Schild mit dem Hinweis CAMERON HIGHLANDS. Er wollte schon dem Wegweiser folgen, als er ein anderes Schild entdeckte, das ihn zu einer Vollbremsung veranlasste: IPOH, 20 KM stand darauf: Dort war Reverdi in der psychiatrischen Klinik gewesen. Dort war die Videoaufnahme entstanden.
    Mark hatte eine Art Sanatorium im englischen Stil erwartet – ein steinernes Portal, makellosen Rasen, weiß getünchte Gebäude. Stattdessen kam er in eine riesige Strafvollzugsanstalt, eine mit Stacheldraht eingezäunte Stadt in der Stadt, die einen eigenen Bahnhof hatte; Eisenbahnschienen führten rings um das Gelände.
    Es war dreizehn Uhr. Auch am Samstag schien der Klinikbetrieb in vollem Gang. Das Personal kehrte aus der Mittagspause zurück, und Mark musste etliche Minuten warten, bis die Meute der Fußgänger, der Rad-, Motorrad- und Autofahrer das hohe Betonportal passiert hatte – eine Szene, die an den Arbeitsbeginn in einer chinesischen Fabrik erinnerte.
    Er folgte dem Strom und stieß bald auf das Verwaltungsgebäude, das innerhalb dieser Stadt noch einmal ein eigenes Viertel darstellte. Während er auf jemanden wartete, der ihm weiterhelfen konnte, blickte er auf das Gelände hinaus, eine weite Ebene mit grauen Gebäuden zwischen bebauten Feldern. Vermutlich wurde hier eine moderne, liberale Psychiatrie praktiziert, wo die Patienten in Wohngemeinschaften lebten und zu Landwirten oder Handwerkern ausgebildet wurden.
    Schließlich empfing ihn der Direktor persönlich, ein Inder mit phlegmatischer Miene und großen glänzenden Augen. Mark erklärte den Grund seines Besuchs: Er komme aus Frankreich, sei Journalist und mit Ermittlungen im Fall Reverdi befasst. Nach längerem Schweigen griff der Mann zum Telefon und rief Dr. Rabaiah Mohd Norman an, die Ärztin, die Jacques Reverdi behandelt hatte.
    Ein paar Minuten später ging die Tür auf, und herein kam dieselbe Frau, die Mark in dem Videofilm gesehen hatte. Sie trug ein bodenlanges beiges Gewand und war mit einem tudung im selben Farbton verschleiert. In dieser Kleidung erinnerte sie an eine Tonfigur, von der nur das Gesicht ausgearbeitet war.
    Die Psychiaterin erwies sich als recht humorvolle Person, die immer einen Scherz parat hatte; sie lachte mit Begeisterung und zeigte dabei ihre sehr großen, sehr weißen Zähne.
    »Lassen Sie uns doch eine Besichtigungstour machen«, schlug sie vor. »Unterwegs können wir uns dann unterhalten.«
Sie fuhren in Marks Auto kreuz und quer über das Gelände, vorbei an Bauernhöfen, Feldern und Sportplätzen. Alles atmete grenzenlose Freiheit. Dr. Norman nannte Zahlen: zweitausend Patienten wurden hier behandelt, fünfundsechzig pro Haus, fünfzig pro landwirtschaftlicher Einheit … »Wir kommen jetzt in den Sicherheitsbereich.«
Das Gelände war ein Hochsicherheitstrakt mit Wachtürmen und einwärts gekrümmtem Stacheldrahtzaun, sämtliche Fenster vergittert – ein regelrechtes Konzentrationslager, mit dem einzigen Unterschied, dass die Gitterstäbe grün gestrichen waren und vielfältige Muster bildeten, die an die

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