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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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der bedrohlichen Vaterfigur schutzlos ausgeliefert … Er äußerte diese Hypothese laut. Die Psychiaterin stimmte ihm zu.
»Es gäbe noch viel zu sagen über den Tod der Mutter … Es ist das zweite Trauma, das Reverdis Persönlichkeit geprägt hat. Dieser Verrat – denn Jack empfindet ihren Selbstmord als einen Verrat – war der Funke, der seine kriminelle Energie entfacht hat.«
Mark schauderte. »Wollen Sie damit sagen, dass er seit seiner Jugend mordet?«
»Nein. Bevor man zur Tat schreitet, braucht es eine Zeit der inneren Reifung. Sie sind doch selbst ein Experte, und Sie kennen die Zahlen: Im Durchschnitt beginnen Serienmörder ihr grausames Handwerk mit fünfundzwanzig. Ich glaube, dass auch Jacks Profil dieser Regel folgt. Die Abwesenheit des Vaters und der Verrat der Mutter sind in ihm ›gereift‹, sie sind gewachsen wie ein Tumor und haben ihn schließlich zum Mörder gemacht. Er tötet, um seinem Vater ähnlich zu werden, aber auch, um sich an seiner Mutter zu rächen. Er hasst die Frauen. Sie sind alle Verräterinnen. Er will sie ›bluten‹ sehen.«
Bei dieser Formulierung erinnerte sich Mark daran, dass sich Monique Reverdi die Pulsadern aufgeschnitten hatte. »Jack« wiederholte diesen ursprünglichen Verrat.
»Wieso haben Sie ihn freigelassen?«, fragte er. »Ich meine: Wieso haben Sie einen Menschen, der doch psychisch … schwer gestört ist, in ein gewöhnliches Gefängnis geschickt?«
»Weil er es verlangt hat. Nachdem seine Krise und damit auch die Halluzinationen vorbei waren, wollte er nur eines: zu den gewöhnlichen Verbrechern zurück. Um keinen Preis bei den Irren bleiben. Ich hatte keine Veranlassung, ihm seinen Wunsch abzuschlagen. Schließlich hat er nur noch ein paar Wochen zu leben.«
»Sie haben ihn einfach so gehen lassen, ohne Behandlung, ohne Hilfe?«
»Nein. Er bekommt sehr wohl Medikamente in Kanara, und jede Woche besucht ihn einer unserer Psychiater.«
Frau Dr. Norman sah auf die Uhr und stand auf. Die Unterredung war zu Ende. Sie gingen zur Tür. Die amok - Kranken blickten ihnen mit aufgerissenen Augen nach.
An der Tür sagte die Psychiaterin: »Ich würde Sie gern noch was Persönliches fragen.«
Mark nickte und wollte lächeln, doch sein Gesicht gehorchte ihm nicht.
»Hatten Sie Kontakt mit Reverdi?«
»Nein«, log Mark, »er gibt keine Interviews.«
»Falls es Ihnen jemals gelingen sollte, an ihn heranzukommen und mit ihm zu sprechen«, sagte sie in beschwörendem Ton, »verraten Sie ihn nicht.« Sie setzte ein Lächeln auf, wie um ihre Warnung abzuschwächen. »Hintergehen Sie ihn niemals. Das würde er Ihnen nie verzeihen.«
KAPITEL 39
    Er hasste Fußball.
    Einen Ball wirft man einem Hund, keinem Menschen. Von der behelfsmäßigen Zuschauertribüne sah er seinen Mitgefangenen beim Spiel zu. Sie schrien, brüllten, schlugen sich und rannten hinter dem heiligen Fußball her. Um zehn Uhr vormittags, wenn die Sonne tonnenschwer auf dem Platz lastete. Was für Idioten.
    Jacques dachte an das Tauchen, das mit diesem Sport für Schwachsinnige nichts gemein hatte. Das Freitauchen hielt den Schlüssel zum Universum bereit – der nicht, wie viele glaubten, in den Tiefen des Meeres zu suchen war. Sondern ganz woanders.
    Normalerweise war er bemüht, nicht ans Tauchen zu denken – in erster Linie, um nicht trübsinnig zu werden, aber auch, um nicht durch den Kontakt mit der Oberfläche die Tiefe zu verunreinigen. An diesem Tag indessen war er bestens gelaunt und konnte es sich leisten, die Augen zu schließen und sich der Erinnerung hinzugeben. Unwillkürlich nickte er einmal kurz – eine altvertraute Geste, das Signal für die Freigabe des Schlittens.
    In der nächsten Sekunde war er unter Wasser.
    Luftbläschen stiegen entlang seinem Körper auf. Dann hatte er nur noch die unermessliche, reglose blaue Masse des Wassers vor sich. Fischschwärme zogen in lichten Wolken schimmernder Schuppen an ihm vorüber. Er warf einen Blick hinab in den Abgrund eines endlosen Raums. Doch schon zog ihn das Sinkgewicht zu anderen Empfindungen fort.
    Zehn Meter unter dem Meeresspiegel. Der Druck war am ganzen Körper spürbar. Alle zehn Meter ein zusätzliches Kilo pro Quadratzentimeter. Beim No-Limits-Wettkampf sinkt der Taucher am Schlitten mit einer Geschwindigkeit von zwei Metern pro Sekunde. Die Tiefe saugt ihn förmlich ein. Der Ozean schließt sich über ihm.
    Zwanzig Meter. Trotz seiner Nasenklemme vollführte Jacques weiter die Bewegungen des Atmens, um den zunehmenden Druck

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