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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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sich noch näher zu ihm hin und hauchte ihm seinen fauligen Atem entgegen. In Reverdis Fantasie entstand das Bild einer Zunge, die ein Stück verwestes Fleisch war. Halb im Ernst, halb ironisch sagte der Gnom:
»Du bist der Chef hier, Reverdi. Du kannst so was in deinem Revier unmöglich zulassen.«
Die Schmeichelei hätte nicht plumper sein können. Dennoch traf das Wort »Chef« einen wunden Punkt. Er nahm es sich übel, dass er für Süßholzgeraspel solcher Art noch immer empfänglich war, vor allem in dieser Welt der Psychopathen, doch in einer Hinsicht hatte Éric Recht: dass Raman sterben musste, stand seit dem Augenblick fest, in dem er ihn gezwungen hatte, den Schweiß von den Wänden zu bürsten. Seit der Sekunde, in der er ihn, Reverdi, gezwungen hatte, vor ihm niederzuknien. Jeder, der ihn demütigte, hatte sein Leben verspielt.
Warum dann nicht den unausweichlichen Gang der Dinge beschleunigen und noch ein paar jugendliche Gefangene retten? Es kam ihm eine Idee. Er würde Elisabeth in seine Entscheidung einbinden: Sobald sie das Rätsel der Wegmarken gelöst hat, sagte er sich, werde ich ihr Ramans Leiche schenken.
»Warten wir ein paar Tage«, sagte er, »man kann nicht blindlings zuschlagen.«
KAPITEL 40
    Die Cameron Highlands sind über Malaysia hinaus berühmt.
    Kein Reiseführer ohne ausführliche Erwähnung der Region: Für die Malaien ist die Gegend ein Paradies, weil sie ein wahres Wunder bietet: Kühle. In einer Höhe von über fünfzehnhundert Metern entflieht man dem feuchten Monsun und der glühenden Hitze. Oberhalb der Dunstschicht ist es sogar kalt.
    Die Engländer haben die Bergkette als Erste besiedelt; sie errichteten stattliche Landhäuser, bauten Kricketplätze, legten Teeplantagen an – und verboten den Malaien jeglichen Zutritt. Nach dem Abzug der Kolonialherren nahmen begüterte Einheimische ihren Platz ein, errichteten Luxushotels, bauten Golfplätze – und höhlen die riesigen Urwälder weiter und immer mehr aus.
    Denn das grüne Paradies ist nur durch den Dschungel zu erreichen.
Mark fuhr jetzt im Schatten hoher Baumkronen, die ein geschlossenes Dach bildeten. Er folgte den Serpentinen zwischen lianenbewachsenen Felswänden auf der einen und einem smaragdgrünen Abgrund auf der anderen Seite. Während die Straße sich in steilen Haarnadelkurven emporschlängelte, sah er tief unter sich die zurückgelegte Wegstrecke.
Mark genoss diese erste Begegnung mit dem Urwald. Er hatte die Klimaanlage seines Proton ausgeschaltet und die Fenster geöffnet, um die mit jeder Kurve frischere Luft zu spüren. Manchmal schloss er sogar kurz die Augen; dann hatte er das Gefühl zu schweben und versuchte den Düften, die ihn anwehten, einen Namen zu geben. In Wahrheit sprach er ins Blaue hinein und wiederholte nur gebetsmühlenhaft die Namen aus seinem Reiseführer: Palmen, Kokosbäume, Tualang, Orchideen, Riesenblumen … Hin und wieder rissen ihn Bruchstücke seines Gesprächs mit Frau Dr. Norman aus seiner Seligkeit. »Hintergehen Sie ihn niemals. Das würde er Ihnen nie verzeihen.« Die erquickende Kühle des Fahrtwindes wich plötzlich dem Frösteln der Angst. Dieselben Fragen kehrten zurück: War er in Gefahr? Konnte Reverdi den Betrug durchschauen? Was riskierte er im schlimmsten Fall, falls er aufflog? Schließlich war der Mörder hinter Gittern – und seine Tage waren gezählt.
Die Straße stieg noch immer an. Die ersten Anzeichen des britischen Empire tauchten auf – zuerst die Teeplantagen, in ordentlichen Stufen angelegte Terrassen, die einen Geruch nach Feuchtigkeit, fast nach Moder verströmten. Aus der Ferne sahen diese Felder aus wie in üppigem Grün eingeschlossene Etagenbauten uralter Reiche. Manche Felder waren braun und stumpf, wie tot; andere leuchteten wie intensiv grüne Moospolster.
Dann tauchten Hotels auf, weiße Herrenhäuser im unverwechselbar »britischen Stil« mit schwarzem Fachwerk, bunten Glasfenstern und kiesbestreuten Innenhöfen. Kurz darauf schloss sich der Urwald wieder zu undurchdringlichem Dickicht, wie über einem Traumbild. Und hinter der nächsten Kurve tauchte unvermittelt ein Golfplatz auf oder ein weiteres Luxushotel mit türkisblauem Swimmingpool … Mark hatte wohl die Höhe von fünfzehnhundert Metern überschritten, als sich die ersten Hüttendörfer zeigten. Auch darüber hatte er im Reiseführer gelesen: Hier wohnten die Orang-Asli, die »Urmenschen«. Waldbewohner im Lendenschurz, die sich mit dem Blasrohr in der Hand zwischen Großbaustellen

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