Das schwarze Buch der Geheimnisse (German Edition)
zeigte ihnen die Tüten voll glibberiger, zappelnder Würmer und die gepanzerten Insekten, die Saluki fraß. Dann durften sie dem Frosch ein paar von den schmackhaften Leckerbissen durch eine Öffnung im Deckel des Behälters zuwerfen.
»Kann ich ihn mal halten?« Diesmal war es der Jüngste, der fragte.
» Darf ich«, verbesserte Joe. »Dass du ihn halten kannst , denke ich mir schon. Ist ja nicht schwer, einen Frosch zu halten. Du willst lediglich um meine Erlaubnis bitten.«
»Darf ich?«, fragte der Junge zappelnd vor Ungeduld.
»Nein.« Bei allen folgenden Besuchen (die Sourdough-Brüder kamen täglich) baten sie erneut darum, und wenn Joe auch fand, dass die Jungen für ihren Optimismus und ihre Beharrlichkeit zu bewundern seien, gab er ihnen doch stets eine abschlägige Antwort, mit der Begründung, Saluki gehöre nicht zu der Art von Fröschen, die sich gern in der Hand halten ließen.
»Würde sie davonspringen?«
»Sie ist ein Baumfrosch«, erklärte Joe. »Mehr ein Kletterer als ein Springer.«
»Woher habt Ihr sie?«
Ein träumerischer Ausdruck kam in Joes Augen. Er hakte die Daumen in die Westentaschen und wippte auf den Absätzen vor und zurück.
»Sie kommt aus einem Land auf der anderen Seite der Welt, dort, wo sich die Erde nach Süden wölbt. Da gibt es Tiere, die ihr euch im Traum nicht vorstellen könnt.«
»Habt Ihr den Frosch selber gefangen?«
»Sie war ein Geschenk«, sagte Joe. »Ein Geschenk von einem alten Mann an einen Jungen in eurem Alter.«
Die Sourdough-Brüder kicherten.
»Doch, sogar ich bin mal jung gewesen«, sagte Joe.
Fast jeden Tag, wenn die Jungen in den Laden kamen, erzählte Joe ihnen etwas. Er faszinierte sie mit Geschichten von all den fernen Ländern, die er besucht hatte, von Bergen, die Feuer und geschmolzenes Gestein spuckten, von Wäldern, in denen die Bäume so hoch waren, dass auf dem Waldboden immer kalte Nacht herrschte, obwohl ihre Blätter von der Sonne versengt wurden. Er sprach von Schiffen und Städten, die auf dem Grund des Ozeans lagen, von den gefrorenen eintönigen Weiten, wo niemals die Sonne hinkam. Doch eines gab es, wovon er ihnen nie erzählte, sosehr sie auch flehten und bettelten.
»Erzählt uns von dem hölzernen Bein«, drängten sie ihn.
Und immer schüttelte Joe den Kopf. »Heute nicht«, sagte er dann. »Vielleicht morgen.«
Kapitel 15
Gelöste Zungen
P olly hätte sich gern genauso oft im Pfandleihgeschäft aufgehalten wie die Sourdough-Brüder, doch während Elias und Ruby sich freuten, dass Joe ihren Jungen Geschichten erzählte, war Jeremiah längst nicht so wohlwollend. Pollys Besuche waren deshalb kürzer und weniger häufig. Sie und Ludlow hatten nach wie vor ihren Spaß an den kurzen Plaudereien über den Ladentisch, wenn es auch eher so war, dass Ludlow zuhörte und Polly redete. Wenn nämlich Polly erst einmal angefangen hatte, war sie so leicht nicht zu bremsen. »Ich weiß nicht, was das Besondere an diesem Laden ist«, sagte sie mehr als einmal kichernd. »Aber immer, wenn ich hier reinkomme, macht sich meine Zunge selbstständig.«
Ludlow hörte ihr gern zu. Er war neugierig auf das Dorf und seine Bewohner, besonders auf Jeremiah, und Polly erzählte ihm mit dem größten Vergnügen von den Begebenheiten im stattlichen Haus unten an der Straße.
Sie erzählte ihm von Jeremiahs Gewohnheiten (im Allgemeinen schlechten), seinen Stimmungen (ebenso) und seinen überzogenen Forderungen (zahlreich und häufig). Ludlowerkannte schnell, dass das Leben es mit Polly bisher nicht gut gemeint hatte. Sie war gescheit und litt unter der Benachteiligung, nur wenig Unterricht erhalten zu haben. Anders als heute war es damals nicht so leicht möglich, seinen Wissensdurst zu befriedigen, und obwohl Polly alles andere als zufrieden war mit ihrem Los, hatte sie sich damit abgefunden. Ihre Eltern waren gestorben, als sie noch ein Baby war, und Lily Weaver, die Näherin im Dorf, hatte sie aufgenommen. Sie brachte ihr später das Nähen bei, und Polly stellte sich auch recht geschickt dabei an, doch Lily begriff schnell, dass es im Dorf nicht genug Arbeit für zwei Näherinnen gab. Bald sah sie in dem Mädchen nichts anderes mehr als einen zusätzlichen Esser. Es war Pollys Glück, oder richtiger gesagt ihr Pech, dass gerade zu dieser Zeit Jeremiah Ratchet ein Dienstmädchen suchte. Da hatte sie ihre wenigen Habseligkeiten in einem alten fleckigen Leintuch zusammengebunden, an einen Stock geknotet und war über die Straße zu
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