Das schwarze Buch der Geheimnisse (German Edition)
hinaus. Oft wachte Horatio nachts keuchend auf, als könnte er die würgenden Hände des Fleischermeisters um seinen Hals spüren. Er hatte keine glückliche Lehrzeit gehabt, und sein bescheidenes Talent für das Fleischerhandwerk hatte seinen Vater oft zu Gewalttätigkeiten getrieben.
Horatio hatte im Geschäft angefangen, kaum dass er über den Ladentisch blicken konnte, und im Lauf der Jahre hatte sich seine äußere Erscheinung der des Fleisches angeglichen, mit dem er den ganzen Tag zu tun hatte. Sein Körper war mit der Zeit stämmiger geworden, ein wenig wie der eines Stiers, und seine dicken haarlosen Unterarme hatten die Form von Lammkeulen. Er hatte ein längliches Gesicht und weite Nasenlöcher, und seine braunen Augen betrachteten die Umgebung mit mäßigem Interesse. Seine Fingerkuppen waren dick und stumpf; für einen Mann, der seinen Lebensunterhalt durchdie Arbeit mit Messern verdiente, ging er erstaunlich leichtsinnig mit seinen Werkzeugen um.
Horatio wischte sich die Hände an seiner grau gestreiften Schürze ab und begrüßte Joe mit einem freundlichen »Schönen Nachmittag« und einem nervösen Lächeln. Er nickte in Richtung der flüchtenden Kinder.
»Würstchen sollte ich aus denen machen«, scherzte er, und die Klingen seiner Messer funkelten im Licht der Lampe. Ludlow, der draußen stand, schauderte bei dem Anblick.
Joe lachte höflich. »Darf ich mich vorstellen«, sagte er. »Ich bin Joe Zabbidou …«
»Der Pf-Pfandleiher«, unterbrach Horatio.
Joe antwortete mit einer kleinen Verbeugung.
»Ihr wohnt oben im alten Laden der Putzmacherin. Hoffentlich ergeht’s Euch besser als Betty P-P-Peggotty.«
Joe hob fragend eine Augenbraue.
»Sie hat Hüte gemacht«, fuhr Horatio fort und blies dabei in seine großen roten Hände. Die Temperatur im Laden war nur wenig höher als die im Freien. »Sehr teure Hüte, müsst Ihr wissen. Mit Pf-Pfauenfedern, Straußenfedern, seidenen Blumen und lauter solchen Sachen. Nicht mein Geschmack. Zu verrückt. Also ich, ich habe lieber eine einfache Kopfbedeckung.« Er strich stolz über seine weiße Fleischermütze und hinterließ Fettflecke darauf.
»Das sehe ich.«
»Sie konnte hier nichts verdienen, deshalb ist sie in die Stadt. Wollte da eine Schenke aufmachen, glaube ich.« Er rückte mit der Hand ein Stück Schweinefleisch auf dem Ladentisch zurecht und hackte gedankenverloren darauf herum.
»Falsche Lage, versteht Ihr. Zu weit oben auf dem verdammten Berg. Da kommt heute kaum mehr einer rauf, es sei denn, er liegt flach in der Kiste. Und selbst dann muss er raufgezogen werden. Sechs Pf-Pferde braucht man dazu. Und der Lärm auf dem Kopfsteinpflaster! Zum Tote-Aufwecken.« Er hielt einen Moment inne, das Messer mitten in der Luft, um über seinen Witz zu lachen.
»Zu mir kommen sie schon«, sagte Joe.
»Hab ich gehört, ja. Vielleicht habt Ihr mehr Glück als sie.«
»Jeremiah Ratchet glaubt das nicht.«
Voll Verachtung spuckte Horatio in die Sägespäne auf dem Boden.
»Der hat ja nicht lange gebraucht, bis er seinen Senf dazugegeben hat.«
»Er sagt, er sei Geschäftsmann.«
»P-Pah!«, rief Horatio. »Diese schleimige Kröte. Ich wette, der hat schon zu seinen Lebzeiten das eine oder andere Geschäft mit dem Teufel gemacht. Der lebt doch von der Not der Armen. Leiht ihnen Geld, und wenn sie’s dann nicht zurückzahlen können, nimmt er ihnen alles ab, was sie haben. Wirft sie aus ihren Häusern, nur wegen ein p-paar Tagen Mietrückstand. Der wird noch das ganze Dorf ausbluten lassen. Kein Wunder, dass er sich so gut mit meinem Vater verstanden hat; sie sind aus dem gleichen Holz geschnitzt.«
Mit einem gewaltigen Krach ließ er sein Messer niedersausen, sodass ein großer Fleischbrocken in die Luft und quer über den Ladentisch flog. Joe fing ihn blitzschnell auf.
Er sah dem Fleischer fest in die Augen, und obwohl Horatio seinem Blick ausweichen wollte, gelang ihm das aus irgendeinem Grund nicht. Seine Ohren wurden von einem sanften Rauschen erfüllt wie von Wind, der in den Bäumen raschelt, und die Beine wurden ihm schwach. In seinen tauben Fingern kribbelte es wie von tausend kleinen Ameisen.
»Ihr hört Euch an wie einer, der sich etwas von der Seele reden muss«, sagte Joe leise. »Kommt heute Nacht in meinen Laden. Vielleicht kann ich helfen.«
»Glaube ich nicht«, erwiderte Horatio schwerfällig und wie gebannt von Joes Blick.
Joe blieb beharrlich. »Nach Mitternacht, dann erfährt keiner davon.«
»Mal
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