Das schwarze Buch der Geheimnisse (German Edition)
sehen.«
»Ausgezeichnet«, sagte Joe mit einem breiten Lächeln und brach damit den Bann. »Bis später also.«
»Was ist mit meinem Fleisch?«
»Das mache ich mir zum Abendessen«, sagte Joe. »Ich bezahle Euch später, wenn Ihr raufkommt.«
Die Kirchenglocke schlug Mitternacht, als Horatio vor dem Laden stand. Er zog seinen Umhang fester und hob die Hand zur Tür. Ungerührt sah der bleiche Halbmond zu, wie derMensch dort unten zögerte und hin-und hergerissen war, ob er klopfen sollte oder nicht. Er hatte nicht herkommen wollen, und er begriff wirklich nicht, warum er jetzt hier stand, aber als Mitternacht herangekommen war, hatten ihn seine Beine ganz wie von selbst aus der Tür und den Berg hinauf geführt. Wie konnte ihm dieser Fremde helfen? Und überhaupt, woher wusste dieser Fremde, dass er Hilfe brauchte? Er dachte daran, wie Joe ihn angesehen hatte. Hatte er ihm den Verstand aus dem Kopf gesaugt?
Horatio schob die Hand vor, aber bevor er anklopfen konnte, öffnete Joe schon die Tür.
»Kommt herein, Horatio«, sagte er herzlich. »Wir haben Euch erwartet.«
Er geleitete den schweigenden Fleischer ins Hinterzimmer, wo im Kamin ein Feuer brannte. Horatio ließ seine massige Gestalt in den angebotenen Sessel sinken und runzelte die Stirn, als die Flammen beängstigend knackten. Joe reichte ihm ein Glas mit dem goldfarbenen Schnaps, und nachdem Horatio einen tiefen Zug genommen hatte und gleich noch einen, röteten sich seine Wangen, und seine Augen begannen zu glänzen.
»Ein starkes Tröpfchen«, sagte er und leerte das Glas.
»Ich glaube, Ihr habt ein Geheimnis, das Ihr nur zu gern verpfänden würdet«, half Joe ihm auf die Sprünge.
Fragend zogen sich Horatios Augenbrauen zusammen. »Was meint Ihr damit?«
»Das ist nun mal mein Beruf«, erklärte Joe. »Ich kaufe Geheimnisse.«
Ein Weilchen dachte Horatio über den Vorschlag nach. »Dann kauft dieses«, sagte er endlich.
Ludlow saß schon am Tisch, das Schwarze Buch vor sich aufgeschlagen, und Horatio begann.
Kapitel 18
Auszug aus dem
Schwarzen Buch der Geheimnisse
Das Geständnis des Fleischers
Ich heiße Horatio Cleaver und ich muss ein schreckliches Geständnis machen.
Mein Schuldgefühl hat mich an den Rand des Wahnsinns getrieben. Ich kann nicht mehr schlafen. Jede Nacht gehe ich auf und ab, bis der Morgen kommt, und dann drehen sich meine Gedanken immer wieder um das, was ich getan habe. Für mich gibt es nur den einen Wunsch: erlöst zu werden von meiner schrecklichen Last.
Ich weiß, dass mich die Leute für unfähig halten, sowohl als Mensch wie auch als Fleischer. Mir fehlt das Talent, das mein Vater hatte, und ich bin der Erste, der das zugibt. Er war ein wahrer Meister seines Gewerbes. Sein Geschick mit dem Hackbeil war unübertroffen, und mit seinem Tempo und seiner Genauigkeit hat er jeden Fleischer-Wettbewerb in der Grafschaft gewonnen. Stan, der Blitz, so haben sie ihn genannt. Für Pagus Parvus war er der größte Held seit MickMacMuckle, dem einarmigen Hufschmied, der mit verbundenen Augen ein Pferd beschlagen konnte.
Für mich war er eine Bestie.
Solange meine Mutter lebte, blieb ich von seinen schlimmsten Ausfällen verschont, aber sie starb noch als junge Frau, und danach war ich ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Er war ein hinterhältiger Mann, müsst Ihr wissen. Für die Leute im Dorf war er der fröhliche Kumpel, den Frauen wusste er immer etwas Nettes zu sagen und mit den Männern scherzte er. Aber abseits vom Ladentisch, hinten im Kühlhaus, war er ein anderer Mensch. Dort wurde er zu einem Monster. Er schlug mich jeden Tag, und zwar mit allem, was ihm gerade in die Hände fiel: Schweinshaxen, Rumpsteaks, sogar mit Hühnern, an denen noch die Federn hingen. Dauernd schärfte er mir ein, wie dankbar ich ihm sein müsse, dass er mir sein Handwerk beibrächte.
»Niemand sonst würde dich nehmen«, sagte er, und mit der Zeit glaubte ich ihm.
Ich wurde so nervös, dass ich immer mehr Fehler machte und er immer wütender wurde. Er spottete über meine Rechtschreibung, ließ mich aber nicht zur Schule gehen; er lachte über mein Stottern, obwohl er wusste, dass es dadurch nur schlimmer wurde. Was meine Arbeit anging, so gab ich mein Bestes, aber ich bin nun mal kein Fleischhauer – ich habe zwei linke Hände. Zur Strafe oder zum Spaß sperrte er mich in den Kühlraum, bis meine Hände so steif waren, dass ich kein Messer mehr halten konnte.
Es war ein elendes Leben. Nachts schlief ich auf den
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