Das schwarze Buch der Geheimnisse (German Edition)
hielt man die Dunkle Seite keineswegs für bedrohlich. Die Dorfleute hatten die um Jahre zurückliegenden ausgedehnten Sonntagspredigten nicht vergessen. Damals hatte sie der Pfarrer halb zu Tode gelangweilt, während er sich in leierndem Tonfall lang und breit über ebendieses Thema ausgelassen hatte. Sie traten unruhig von einem Fuß auf den andern, unterhielten sich mit ihren Nachbarn oder gingen einfach weg. Verzweifelt versuchte Stirling, sie noch einmal einzufangen. Jeremiah hatte ihm eine Kiste von seinem besten Portwein versprochen.
»Wenn ihr zur Dunklen Seite übergeht, seid ihr für immer verloren und werdet im Höllenfeuer braten.«
»Da haben wir’s wenigstens warm«, rief Obadiah, und die Leute lachten.
»Macht euch nicht lustig über den Teufel«, mahnte Stirling in einem letzten Versuch, sie zu halten. »Man kann nie wissen, wann er zuhört.«
»Moment mal, Herr Pfarrer«, sagte Ruby Sourdough. »Hier kommt der Böse persönlich. Fragen wir ihn doch, was es mit der Dunklen Seite auf sich hat.«
Und wirklich, gerade da kam Joe in seinem gewohnt raschen Tempo die Straße herunter. Er bewegte sich mit dem sicheren Tritt einer Bergziege. Und schon fragten sich ein, zwei Leute, ob seine Schuhe nicht möglicherweise doch die verräterischen Pferdefüße des Teufels verbargen …
»Guten Morgen zusammen«, rief er lächelnd, »habe ich da nicht meinen Namen gehört?«
Obwohl niemand Stirling ernst nahm, erschien es manchen doch als ein merkwürdiger Zufall, dass Joe genau in diesem Augenblick aufgetaucht war.
»Hier, hört Euch das an, Mr Zabbidou«, rief der kleine Sourdough vorn in der Menge. »Stirling sagt, dass Ihr der Teufel seid und dass Ihr gekommen seid, weil Ihr uns in der Hölle braten wollt.«
Stirling protestierte sofort. Es war nie seine Absicht gewesen, sich dem Teufel in Person entgegenzustellen, nur ein bisschen verleumden wollte er ihn, und zwar, solange er nicht anwesend war. »Das habe ich nicht gesagt«, erklärte er hastig. »Lügen ist eine Sünde, Junge.«
»Doch, hat er«, sagte Elias Sourdough zu Joe. »Er hat gesagt, Ihr wollt uns anlocken mit Euren Tricks und Schlichen.«
Joe lächelte. »Ich habe keine Tricks. Ihr wisst, was ich bin – ein Pfandleiher. Habe ich mich je für etwas anderes ausgegeben? Und was Schliche angeht, so könnt ihr gern zu mir kommen und nachsehen. Vielleicht sind sie ja im Schaufenster versteckt?«
Darauf brachen alle in schallendes Gelächter aus. Stirling zog ein finsteres Gesicht, nahm seine Kiste und stahl sich davon.
Kapitel 23
Fragment aus den
Erinnerungen des Ludlow Fitch
S tirlings Auftritt war drei Tage lang Dorfgespräch. In den Augen der Leute war die Blamage des Pfarrers nur ein weiterer Sieg für Mr Zabbidou und ein weiterer Schlag in Richtung von Mr Ratchet (der die ganze Vorstellung, nur unzureichend hinter der Gardine verborgen, von seinem Fenster aus beobachtet hatte). Die Frontlinien waren so klar, dass man sie im Schnee hätte abstecken können.
Keine Frage, Joe war in Pagus Parvus mit großer Herzlichkeit aufgenommen worden. Das war schon in dem Augenblick sichtbar geworden, als er Jeremiah Ratchet widerstanden hatte. Und die anfängliche Begeisterung hatte nicht nachgelassen, im Gegenteil, sie war enorm gewachsen. Inzwischen traten ihm die Dorfleute, kaum dass sie ihn sahen, wie einem König entgegen. Ich schwöre bei meinem miesen Pa, dass ich mehr als einmal erlebt habe, wie jemand vor ihm niederkniete. Der arme Joe, er konnte nicht durchs Dorf gehen, ohne ein Dutzend Mal von wohlwollenden Leuten angehalten zu werden, die sich nach seiner Gesundheit, nach seinem Geschäft und sogar nach Saluki erkundigten. Immer war Joe höflich, unverändert herzlich und liebenswürdig, aber ich spürte, dass ihn diese Vergötterung allmählich beunruhigte.
»Ich bin nicht hergekommen, um mich verehren zu lassen«, murmelte er vor sich hin.
In langen schlaflosen Nächten wälzte ich die gleiche Frage in meinem Hirn: Warum bist du hergekommen, Joe Zabbidou? Ich ahnte inzwischen, dass die Dinge nicht so einfach waren – und nicht so einfach sein konnten –, wie sie schienen. Ein Mann kommt von nirgendwoher in ein abgelegenes Dorf und zahlt für wertlosen Plunder und für Geheimnisse viel Geld, das scheinbar aus einer unerschöpflichen Quelle fließt. Ich verstand das nicht. Wenn ich aber versuchte, Joe nach seiner Vergangenheit zu fragen, ging er nicht darauf ein und sprach schnell von etwas anderem.
Ob Joes Abneigung gegen
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