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Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus

Titel: Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stephen;Straub King
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Baseballmütze, die nicht
richtig sitzt, weil sie eigentlich für seinen Kopf zu klein ist. Trotzdem will er die Größeneinstellung nicht verändern. Will nicht, dass Jack die Mütze für eine Männermütze hält, keine eine einzige Sekunde lang. Er fordert Jack heraus, fordert ihn zum Mitspielen auf.
    »Hat sich den Jungen in unserer Welt geschnappt«, murmelt Jack. »Ist mit ihm in diese Welt geflüchtet. Hat ihn irgendwo sicher untergebracht, wie eine Spinne eine Fliege versteckt. Lebend? Tot? Lebend, glaube ich. Weiß auch nicht, warum. Vielleicht will ich das nur glauben. Spielt im Augenblick aber keine Rolle. Dann ist er zu Irmas Versteck gegangen. Hat ihren Fuß geholt und ihn mir gebracht. Hat ihn durch diese Welt getragen und ist dann in meine Welt geflippt, um den Karton vor meine Haustür zu stellen. Hat er unterwegs die Mütze verloren? Weil sie ihm vom Kopf gefallen ist?«
    Das glaubt Jack nicht. Jack glaubt, dass dieser Scheißkerl, dieser Abschaum, dieser die Welten wechselnde Drecksack die Mütze absichtlich zurückgelassen hat. Weil er wusste, dass Jack sie auf dieser Straße finden würde.
    Jack hält die Mütze an die Brust gepresst wie ein Fan im Miller Park, während die Nationalhymne gespielt wird, schließt die Augen und konzentriert sich. Das ist leichter als erwartet, aber manche Fertigkeiten verlernt man vermutlich nie – wie man eine Orange schält, wie man Rad fährt, wie man zwischen Welten hin und her flippt.
    Ein aufgeweckter Junge wie du braucht sowieso keinen billigen Wein, hört er seinen alten Freund Speedy Parker sagen, und in Speedys Stimme schwingt ein leises Lachen mit. Im selben Augenblick scheint die Welt um ihn herum wieder ins Kippen zu geraten. Und im nächsten Augenblick hört er ganz nahe das beunruhigende Geräusch eines heranrasenden Autos.
    Er weicht einen Schritt zurück und öffnet dabei die Augen. Als Erstes sieht er eine Asphaltstraße – die Norway Valley Road -, aber dann …
    Eine Autohupe gellt, und ein staubiger alter Ford rast so dicht an ihm vorbei, dass der rechte Außenspiegel keine Handbreit von Jack Sawyers Nase entfernt vorbeiflitzt. Ein Schwall warmer Luft, jetzt wieder mit dem schwachen, aber durchdringenden
Geruch von Kohlenwasserstoffen geschwängert, flutet über Jack hinweg, während er irgendeinen Farmerjungen empört schreien hört:
    »… weg von der Straße, Aaarschloooch! «
    »Verbitte mir, von einem Bauernlümmel Arschloch genannt zu werden«, sagt Jack mit seiner besten Rationaler-Richard-Stimme, aber obwohl er dazu noch ein pompöses Ba-haaa! anhängt, fühlt er, wie sein Herz jagt. Mann, er wäre beim Zurückflippen fast genau vor einem Auto gelandet!
    Bitte, Jack, verschone mich, sagt Richard. Du hast alles nur geträumt.
    Jack weiß es besser. Obwohl er sich höchst verblüfft umsieht, ist er in seinem Innersten durchaus nicht verblüfft, nein, nicht im Geringsten. Zum einen hat er noch immer die Mütze – Tyler Marshalls Baseballmütze mit dem Abzeichen der Brewers. Und zum anderen liegt die Brücke über den Tamarack Creek gleich hinter der nächsten Anhöhe. In jener anderen Welt, in der Riesenkarnickel an einem vorbeihoppeln, ist er ungefähr eine Meile weit gegangen. In dieser hier sind es mindestens vier.
    So war es einst, denkt er, so war es einst, als Jacky sechs war. Als alle in Kalifornien lebten, und niemand anderswo lebte.
    Aber das stimmt nicht. Es ist irgendwie nicht richtig.
    Jack steht am Rand der Straße, die vor wenigen Sekunden noch unbefestigt war, jetzt aber asphaltiert ist, starrt auf Ty Marshalls Baseballmütze hinunter, versucht herauszubekommen, was nicht stimmt, wieso es nicht stimmt, weiß aber gleichzeitig, dass ihm das wahrscheinlich nicht gelingen wird. Alles das liegt schon lange zurück, und außerdem hat er sich seit seinem dreizehnten Lebensjahr bemüht, seine zugegebenerma ßen bizarre Kindheit zu vergessen. Mit anderen Worten mehr als sein halbes Leben lang. Man kann sich nicht so lange bemühen, alles zu vergessen, und dann einfach mit den Fingern schnippen und erwarten, dass …
    Jack schnippt mit den Fingern. Sagt zu dem wärmer werdenden Sommermorgen: »Was ist passiert, als Jacky sechs war?« Und beantwortet sich die Frage selbst: »Als Jacky sechs war, hat Daddy das Horn gespielt.«

    Was soll das wieder heißen?
    »Nicht Daddy«, sagt Jack plötzlich. »Nicht mein Daddy. Dexter Gordon. Das Stück hat ›Daddy Played the Horn‹ gehei ßen. Oder vielleicht das Album. Die LP.« Er steht da,

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