Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
zurückgeworfen hat, besteht auch kein Zweifel daran (zumindest für George Rathbun nicht), dass Burnitz safe war! George springt in der Abenddämmerung auf, die mit Schweiß bedeckte Glatze leuchtet unter einem mild lavendelblauen Himmel, eine schaumige Bierspur läuft ihm über den angewinkelten Unterarm, die blauen Augen blitzen (man merkt, dass er mit diesen Augen viel sieht, ja praktisch alles sieht), und Ty wartet darauf, sie alle warten darauf, und dann kommt sie, diese Verkörperung des Sommers im Coulee Country, dieser wundervolle Schrei, der bedeutet, dass alles okay ist, der Schrecken nicht die Oberhand gewinnen wird und die Verwerfungen gestoppt sind.
»Komm schon, Schiri, Gib uns’ne Chance! Gib uns’ne verdaaammte Chaaance! Sogar ein Blinder konnte sehen, dass er safe war!«
Als dieser Schrei ertönt, johlt und pfeift die Menge am ersten Base wie verrückt – und niemand wilder als die etwa fünfzehn Leute hinter dem Spruchband mit der Aufschrift MILLER PARK HEIßT GEORGE RATHBUN UND DIE GEWINNER DES DIES-JäHRIGEN BREWER-PREISAUSSCHREIBENS VON KDCU WILLKOMMEN. Ty springt lachend auf und ab und schwenkt dabei seine Brewers-Mütze. Das Beste an der ganzen Sache ist die Tatsache, dass er eigentlich dachte, er hätte dieses Jahr vergessen, an dem Preisausschreiben teilzunehmen. Wahrscheinlich hat sein Vater (vielleicht auch seine Mutter) die Karte für ihn weggeschickt … und er hat gewonnen! Zwar nicht den ersten
Preis, als dessen Gewinner er als Schlägerjunge der Brew Crew an der gesamten Spielserie gegen Cincinnati teilgenommen hätte, aber was er gewonnen hat (das heißt, außer diesem erstklassigen Platz im Kreis der übrigen Gewinner), ist seiner Meinung nach sogar noch besser. Natürlich ist Richie Sexson nicht ein Mark McGwire – niemand kann einen Ball so gewaltig schlagen wie Big Mac -, aber Sexson hat dieses Jahr fantastisch für die Brewers gespielt, echt fantastisch , und Tyler Marshall darf …
Jemand rüttelt ihn am Fuß.
Ty versucht den Fuß wegzuziehen, weil er seinen Traum (diese beste Zuflucht vor den Schrecken, die ihn befallen haben) nicht verlieren will, aber die Hand ist unerbittlich. Sie rüttelt. Sie rüttelt und rüttelt.
»Wach auf!«, blafft eine Stimme, und Tylers Traum beginnt sich zu verdunkeln.
George Rathbun wendet sich Ty zu, worauf der Junge etwas Erstaunliches sieht: die Augen, die noch vor wenigen Sekunden so klare, scharfe blaue Augen waren, sind trüb und milchig geworden. Jesses, er ist blind, denkt Ty. George Rathbun ist wirklich ein …
»Wach auf«, knurrt die Stimme. Sie ist näher herangekommen. Im nächsten Augenblick wird der Traum verlöschen.
Aber bevor er das tut, spricht George ihn an. Seine Stimme ist ruhig, völlig anders als das gewohnte heisere Bellen des Sportreporters. »Hilfe ist unterwegs«, sagt er. »Bleib also cool, kleine Hip-Cat. Sei …«
»Wach auf , du Scheißer!«
Der Griff am Knöchel ist zermalmend, lähmend. Ty öffnet mit einem Protestschrei die Augen. Auf diese Weise tritt er wieder in die Welt und unsere Geschichte ein.
Er weiß sofort wieder, wo er ist. In einer Zelle mit rötlich grauen Eisenstäben ungefähr in der Mitte eines Steinkorridors, der durch nackte Glühbirnen, die mit Spinnweben verhangen sind, nur trübe erhellt wird. In einer Ecke steht ein unberührter Blechnapf mit irgendeiner Art Eintopf. In der anderen steht der Kübel, in den er pinkeln soll (oder groß machen soll, wenn
er muss – was Gott sei Dank bislang noch nicht der Fall war). Sonst enthält der Raum nur einen verschlissenen alten Futon, von dem Burny ihn soeben gezerrt hat.
»Okay«, sagt Burnside. »Endlich wach. Das ist gut. Steh jetzt auf. Los, mach schon, Arschgeige. Ich hab keine Zeit, lang mit dir rumzumachen.«
Tyler steht auf. Ein Schwindelgefühl durchwogt ihn, und er fasst sich mit beiden Händen an den Kopf. Am Scheitel ertastet er eine schwammige, verschorfte Stelle. Als er sie berührt, zuckt ein stechender Schmerz bis in die Kiefer, sodass er die Zähne zusammenbeißt. Aber der Schmerz vertreibt auch das Schwindelgefühl. Ty betrachtet seine Hand. An der Handfläche haften Flocken von Wundschorf und geronnenem Blut. Da hat er mich mit dem verdammten Stein getroffen. Nur etwas fester, dann würde ich jetzt mit den Engeln singen.
Aber auch der Alte ist irgendwie verletzt. Sein Hemd ist vorn völlig durchgeblutet; das runzlige Menschenfressergesicht ist wächsern blass. Hinter ihm steht die Zellentür offen. Ty schätzt
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