Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
berichtet haben, ist der Zugang nicht gerade unverteidigt.
»Dale, hast du ein Taschenmesser?«
»Im Handschuhfach«, sagt Dale. Er sieht zu dem länglichen Paket auf Jacks Knien hinüber. »Willst du’s jetzt auspacken?«
»Du vermutest richtig.«
»Könntest du mir ein paar Dinge erklären, während du damit beschäftigt bist? Zum Beispiel, ob wir damit rechnen müssen, dass in diesem schwarzen Haus plötzlich Charles Burnside mit einer Axt bewaffnet aus einer Geheimtür springt und anfängt …«
»Chummy Burnside überfällt keine Leute mehr«, sagt Jack.
»Er ist tot. Ty Marshall hat ihn erledigt. Daher das Beben, das wir hinter der Sand Bar wahrgenommen haben.«
Der Wagen des Chiefs gerät so ungewöhnlich weit aus der Spur – bis zum linken Fahrbahnrand hinüber -, dass Beezer sich vor Schreck über das, was er im Rückspiegel sieht, kurz umsieht. Jack macht eine rasche, energische Handbewegung – fahr weiter, mach dir keine Sorgen um uns -, worauf Beez wieder nach vorn sieht.
»Was?«, keucht Dale.
»Der alte Hundesohn war zwar schon verletzt, aber ich habe das Gefühl, dass Ty trotzdem verdammt tapfer gewesen ist. Tapfer und listig zugleich.« Für Jack sieht es so aus, dass Henry diesen Burnside erst weich geklopft und Ty ihm dann den Rest gegeben hat. Was George Rathbun zweifellos als »zweifaches Aus der Extraklasse« bezeichnet hätte.
»Wie …«
»Hat ihm die Eingeweide rausgerissen. Mit bloßen Händen. Mit einer Hand. Ich weiß ziemlich sicher, dass die andere noch irgendwo angekettet ist.«
Dale schweigt einen Augenblick und beobachtet, wie die Biker sich vor ihnen in eine Kurve legen, während ihr Haar unter den Minihelmen hervorflattert, die sie pro forma tragen, um der in Wisconsin geltenden Helmpflicht zu genügen. Jack schlitzt unterdessen das braune Packpapier auf und legt eine lange weiße Schachtel frei, in der etwas hin und her rollt.
»Du willst mir erzählen, dass ein Zehnjähriger einem Serienmörder die Eingeweide aus dem Leib gerissen hat? Einem Serien kannibalen ? Etwas, was du von irgendwoher weißt.«
»Genau.«
»Es fällt mir äußerst schwer, das zu glauben, wirklich.«
»Tja, wenn man da an den Vater denkt. Fred ist ein …« Schlappschwanz ist das Wort, das sich Jack aufdrängt, aber diese Bezeichnung wäre unfair und auch nicht ganz richtig. »Fred ist weichherzig«, sagt er. »Judy dagegen …«
»Rückgrat«, sagt Dale. »Das hat sie, wie man hört.«
Jack bedenkt seinen Freund mit einem humorlosen Grinsen. Er hat es zwar geschafft, das Summen auf einen kleinen Teil seines Gehirns zu beschränken, aber dieser Bereich schrillt jetzt
wie ein Feuermelder. Sie sind fast am Ziel. »Das hat sie allerdings«, sagt er zu Dale. »Und der Junge auch. Er ist … tapfer.« Beinahe hätte Jack gesagt: Er ist ein Prinz.
» Und er lebt.«
»Ja.«
»Irgendwo in einer Hütte angekettet.«
»Richtig.«
»Hinter Burnsides Haus.«
»Mhm.«
»Wenn ich die Gegend richtig kenne, muss er irgendwo zwischen der Schubert und der Gale Street im Wald sein.«
Jack lächelt, ohne sich dazu zu äußern.
»Also gut«, sagt Dale nachdrücklich. »In welchem Punkt liege ich falsch?«
»Das spielt keine Rolle. Was auch gut ist, weil es sich unmöglich erklären lässt.« Jack kann nur hoffen, dass es um Dales innere Verfassung gut bestellt ist, denn in der kommenden Stunde wird er einiges aushalten müssen.
Mit dem Fingernagel schlitzt er den Klebstreifen auf, mit dem die Schachtel verschlossen ist. Er klappt den Deckel auf. Darunter kommt eine Blasenfolie zum Vorschein. Jack zieht sie heraus, stopft sie in den Fußraum und begutachtet dann, was Ty Marshall beim KDCU-Preisausschreiben gewonnen hat – obwohl er anscheinend gar nicht daran teilgenommen hat.
Jack lässt einen ehrfürchtigen kleinen Seufzer hören. Er ist noch jungenhaft genug, um auf den vor ihm liegenden Gegenstand zu reagieren, auch wenn er selbst zuletzt als kleiner Knirps auf dem Spielfeld gestanden hat. So ein Baseballschläger hat schon etwas an sich, oder nicht? Etwas, was an unseren primitiven Glauben an die Reinheit des Kampfes und die Kraft der eigenen Mannschaft appelliert. Der Heimmannschaft. Das alles muss auch Bernard Malamud bewusst gewesen sein. Jack hat dessen Der Unbeugsame bestimmt zwanzigmal gelesen, stets auf ein anderes Ende gehofft (und war bitter enttäuscht, als die Verfilmung des Romans ihm dann tatsächlich ein anderes anbot) und sich immer dafür begeistert, dass Roy Hobbs seinen
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